Ungekürztes Werk "Wilhelm Tell" von Friedrich Schiller (Seite 46)

hingeflüchtet?

STAUFFACHER:

Sie flohen alsbald nach vollbrachter Tat

Auf fünf verschiednen Straßen auseinander,

Und trennten sich, um nie sich mehr zu sehn –

Herzog Johann soll irren im Gebirge.

WALTHER FÜRST:

So trägt die Untat ihnen keine Frucht!

Rache trägt keine Frucht! Sich selbst ist sie

Die fürchterliche Nahrung, ihr Genuß

Ist Mord, und ihre Sättigung das Grausen.

STAUFFACHER:

Den Mördern bringt die Untat nicht Gewinn,

Wir aber brechen mit der reinen Hand

Des blut'gen Frevels segenvolle Frucht.

Denn einer großen Furcht sind wir entledigt,

Gefallen ist der Freiheit größter Feind,

Und, wie verlautet, wird das Szepter gehn

Aus Habsburgs Haus zu einem andern Stamm,

Das Reich will seine Wahlfreiheit behaupten.

WALTHER FÜRST und MEHRERE:

Vernahmt Ihr was?

STAUFFACHER:Der Graf von Luxemburg

Ist von den mehrsten Stimmen schon bezeichnet.

WALTHER FÜRST:

Wohl uns, daß wir beim Reiche treu gehalten,

Jetzt ist zu hoffen auf Gerechtigkeit!

STAUFFACHER:

Dem neuen Herrn tun tapfre Freunde not,

Er wird uns schirmen gegen Östreichs Rache.

Die Landleute umarmen einander.

 

Sigrist mit einem Reichsboten.

 

SIGRIST: Hier sind des Landes würd'ge Oberhäupter.

RÖSSELMANN und MEHRERE:

Sigrist, was gibt's?

SIGRIST: Ein Reichsbot bringt dies Schreiben.

ALLE zu Walther Fürst: Erbrecht und leset.

WALTHER FÜRST liest: »Den bescheidnen Männern

Von Uri, Schwyz und Unterwalden bietet

Die Königin Elsbeth Gnad und alles Gutes.«

VIELE STIMMEN:

Was will die Königin? Ihr Reich ist aus.

WALTHER FÜRST liest:

»In ihrem großen Schmerz und Witwenleid

Worein der blut'ge Hinscheid ihres Herrn

Die Königin versetzt, gedenkt sie noch

Der alten Treu und Lieb der Schwyzerlande.«

MELCHTAL: In ihrem Glück hat sie das nie getan.

RÖSSELMANN: Still! Lasset hören!

WALTHER FÜRST liest:

»Und sie versieht sich zu dem treuen Volk,

Daß es gerechten Abscheu werde tragen

Vor den verfluchten Tätern dieser Tat.

Darum erwartet sie von den drei Landen,

Daß sie den Mördern nimmer Vorschub tun,

Vielmehr getreulich dazu helfen werden,

Sie auszuliefern in des Rächers Hand,

Der Lieb gedenkend und der alten Gunst,

Die sie von Rudolfs Fürstenhaus empfangen.«

Zeichen des Unwillens unter den Landleuten.

VIELE STIMMEN: Der Lieb und Gunst!

STAUFFACHER:

Wir haben Gunst empfangen von dem Vater,

Doch wessen rühmen wir uns von dem Sohn?

Hat er den Brief der Freiheit uns bestätigt,

Wie vor ihm alle Kaiser doch getan?

Hat er gerichtet nach gerechtem Spruch,

Und der bedrängten Unschuld Schutz verliehn?

Hat er auch nur die Boten wollen hören,

Die wir in unsrer Angst zu ihm gesendet?

Nicht eins von diesem allen hat der König

An uns getan und hätten wir nicht selbst

Uns Recht verschafft mit eigner mut'ger Hand,

Ihn rührte unsre Not nicht an – Ihm Dank?

Nicht Dank hat er gesät in diesen Tälern.

Er stand auf einem hohen Platz, er konnte

Ein Vater seiner Völker sein, doch ihm

Gefiel es, nur zu sorgen für die Seinen,

Die er gemehrt hat, mögen um ihn weinen!

WALTHER FÜRST:

Wir wollen nicht frohlocken seines Falls,

Nicht des empfangnen Bösen jetzt gedenken,

Fern sei's von uns! Doch, daß wir rächen sollten

Des Königs Tod, der nie uns Gutes tat,

Und die verfolgen, die uns nie betrübten,

Das ziemt uns nicht und will uns nicht gebühren.

Die Liebe will ein freies Opfer sein,

Der Tod entbindet von erzwungnen Pflichten,

– Ihm haben wir nichts weiter zu entrichten.

MELCHTAL: Und weint die Königin in ihrer Kammer,

Und klagt ihr wilder Schmerz den Himmel an,

So seht ihr hier ein angstbefreites Volk

Zu ebendiesem Himmel dankend flehen –

Wer Tränen ernten will, muß Liebe säen.

Reichsbote geht ab.

STAUFFACHER zu dem Volk:

Wo ist der Tell? Soll er allein uns fehlen,

Der unsrer Freiheit Stifter ist?

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