Ungekürztes Werk "Wilhelm Tell" von Friedrich Schiller (Seite 47)

Das Größte

Hat er getan, das Härteste erduldet,

Kommt alle, kommt, nach seinem Haus zu wallen,

Und rufet Heil dem Retter von uns allen.

Alle gehen ab.

Zweite Szene

Tells Hausflur. Ein Feuer brennt auf dem Herd. Die offenstehende Türe

zeigt ins Freie.

 

Hedwig. Walther und Wilhelm.

HEDWIG:

Heut kommt der Vater. Kinder, liebe Kinder!

Er lebt, ist frei, und wir sind frei und alles!

Und euer Vater ist's, der's Land gerettet.

WALTHER: Und ich bin auch dabeigewesen, Mutter!

Mich muß man auch mit nennen. Vaters Pfeil

Ging mir am Leben hart vorbei und ich

Hab nicht gezittert.

HEDWIG umarmt ihn: Ja du bist mir wieder

Gegeben! Zweimal hab ich dich geboren!

Zweimal litt ich den Mutterschmerz um dich!

Es ist vorbei – Ich hab euch beide, beide!

Und heute kommt der liebe Vater wieder!

Ein Mönch erscheint an der Haustüre.

 

WILHELM:

Sieh Mutter sieh – dort steht ein frommer Bruder,

Gewiß wird er um eine Gabe flehn.

HEDWIG: Führ ihn herein, damit wir ihn erquicken,

Er fühl's, daß er ins Freudenhaus gekommen.

Geht hinein und kommt bald mit einem Becher wieder.

WILHELM zum Mönch:

Kommt, guter Mann. Die Mutter will Euch laben.

WALTHER: Kommt, ruht Euch aus und geht gestärkt von dannen.

MÖNCH scheu umherblickend, mit zerstörten Zügen:

Wo bin ich? Saget an, in welchem Lande?

WALTHER: Seid Ihr verirret, daß Ihr das nicht wißt?

Ihr seid zu Bürglen, Herr, im Lande Uri,

Wo man hineingeht in das Schächental.

MÖNCH zur Hedwig, welche zurückkommt:

Seid Ihr allein? Ist Euer Herr zu Hause?

HEDWIG:

Ich erwart ihn eben – doch was ist Euch, Mann?

Ihr seht nicht aus, als ob Ihr Gutes brächtet.

– Wer Ihr auch seid, Ihr seid bedürftig, nehmt!

Reicht ihm den Becher.

MÖNCH: Wie auch mein lechzend Herz nach Labung schmachtet,

Nichts rühr ich an, bis Ihr mir zugesagt –

HEDWIG:

Berührt mein Kleid nicht, tretet mir nicht nah,

Bleibt ferne stehn, wenn ich Euch hören soll.

MÖNCH: Bei diesem Feuer, das hier gastlich lodert,

Bei Eurer Kinder teurem Haupt, das ich

Umfasse – Ergreift die Knaben.

HEDWIG:Mann, was sinnet Ihr? Zurück

Von meinen Kindern!– Ihr seid kein Mönch! Ihr seid

Es nicht! Der Friede wohnt in diesem Kleide,

In Euren Zügen wohnt der Friede nicht.

MÖNCH: Ich bin der unglückseligste der Menschen.

HEDWIG:

Das Unglück spricht gewaltig zu dem Herzen,

Doch Euer Blick schnürt mir das Innre zu.

WALTHER aufspringend:

Mutter, der Vater! Eilt hinaus.

HEDWIG:  O mein Gott!

Will nach, zittert und hält sich an.

WILHELM eilt nach:   Der Vater!

WALTHER draußen: Da bist du wieder!

WILHELM draußen: Vater, lieber Vater!

TELL draußen: Da bin ich wieder – Wo ist eure Mutter?

Treten herein.

WALTHER:

Da steht sie an der Tür und kann nicht weiter,

So zittert sie für Schrecken und für Freude.

TELL: O Hedwig, Hedwig! Mutter meiner Kinder!

Gott hat geholfen – Uns trennt kein Tyrann mehr.

HEDWIG an seinem Halse:

O Tell! Tell! Welche Angst litt ich um dich!

Mönch wird aufmerksam.

TELL: Vergiß sie jetzt und lebe nur der Freude!

Da bin ich wieder! Das ist meine Hütte!

Ich stehe wieder auf dem Meinigen!

WILHELM: Wo aber hast du deine Armbrust Vater?

Ich seh sie nicht.

TELL: Du wirst sie nie mehr sehn.

An heil'ger Stätte ist sie aufbewahrt,

Sie wird hinfort zu keiner Jagd mehr dienen

HEDWIG: O Tell! Tell!

Tritt zurück, läßt seine Hand los.

TELL:  Was erschreckt dich, liebes Weib?

HEDWIG:

Wie – wie kommst du mir wieder? – Diese Hand

– Darf ich

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