Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 117)

neben dem der Stadt am fernsten Floße lag, stand die knochige Gestalt der alten Badefrau; die langen Bänder ihres großen, verschossenen Taffethuts flatterten knitternd in der Luft, den Friesrock hielt sie sich mit beiden Händen fest. Sie hatte nichts zu tun; Badekappen und Handtücher der Damen und Kinder lagen drinnen im Schuppen ruhig in ihren Fächern. »Ich geh nach Haus«, sagte sie bei sich selber; »'s kommt niemand in dem Mordwetter.«

Sie haschte ihre Hutbänder, die ihr über die Augen flogen, und sah am Deich entlang nach der Stadt hinab. Die Schafe, welche auf dem Vorlande angetüdert waren, hatten, soweit die Stricke reichten, sich gruppenweise mit dem Rücken gegen den Wind gestellt; sonst war nichts zu sehen. – – Aber doch! Dort auf dem Deiche kamen zwei Männer angegangen und stiegen dem nächsten Badefloße gegenüber, das der Uferbeschaffenheit wegen der Männerwelt hatte überlassen werden müssen, an der Außenseite des Deiches herab; ihre Leintücher, die sie mit sich führten, ließen sie dabei mit erhobener Hand über ihren Köpfen fliegen; ihre jugendlichen Stimmen, ihr helles Lachen konnte nicht zu der Alten dringen, denn der Wind nahm es ihnen vom Munde und verwehte es in der Richtung nach der Stadt zu.

»Hätten auch zu Haus bleiben können«, brummte die Alte, als sie die beiden in eine der Türen des Badefloßes hatte verschwinden sehen; »aber's kümmert mich nicht; ich geh nach Haus!« Sie holte eine große, tombakne Taschenuhr hinter ihrem Gürtel hervor und zählte mit den Fingern die Zahlen auf dem Zifferblatt. »Es könnt nur eine kommen bei dem Unwetter, aber ihre Zeit ist schon vorüber; die Flut muß bald eine halbe Stunde stehen, und die, die kann schon immer nicht 'nmal das erste Wasser abwarten.«

Schon hatte sie die gegen Norden nach dem Deiche zu befindliche Tür des Schuppens in der Hand, als sie bei einem Blick, den sie noch zur Stadt hinüberwarf, mit beiden Händen an ihren Taffethut fuhr. »Heilige Mutter Maria!« rief sie; »man könnte katholisch werden! Da kommt ein Frauenzimmer, da kommt sie!«

Und wirklich, es war ein Frauenzimmer, das dort auf dem Deiche von der Stadt her kam; es war sogar ein Mädchen, ja es war nur eine Mädchenknospe; und sie kam rasch trotz Wind und Wetter näher. Der flache Strohhut war ihr längst vom Kopfe gerissen, und sie trug ihn am Bande in der Hand; den Knoten des sonnenblonden Haares hatte der Wind gelöst, daß es frei von dem jungen Nacken wehte; immer rascher ging sie, und ihre dunklen Augen spähten in die Ferne. Als sie die knochige Gestalt der Alten, die noch immer vor dem Schuppen stand, erkannt hatte, flog sie an der Seite des Deiches hinunter und dann über das Vorland zu ihr hinüber. »Kathi«, rief sie, »Kathi, ich konnt nicht eher kommen; ich fürchtete schon, du seist nach Haus gegangen!«

»Ja, ja«, murmelte die Alte; »wär ich nur so klug gewesen!«

»Kathi! Nicht brummen!« Und während sie drohend den Finger gegen die Alte erhob, schaute sie ihr fast zärtlich in die Augen.

»Aber's geht ja doch nicht, Frölen!« meinte noch einmal die

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