Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 119)

von dem warmen Sonnenschein beleuchten. »Erzähl's nur noch einmal, Kathi!« sagte sie.

Die Alte hatte sich neben sie auf das Sofa gesetzt. »Ja, ja, Frölen; ich hab's Ihnen schon oft erzählt. Aber ich seh sie noch immer vor mir, die Frau Mama; will sagen, das acht- oder neunjährige Dingelchen. Ebenso schöne gelbe Haare wie das Frölen!«

»Gelbe, Kathi? – Dank dir auch vielmals!«

»Sind sie nicht gelb, Frölen? – Nun, aber schön sind sie doch?«

»Ja, Kathi! Aber Mama ihre sind noch heut viel schöner als meine. Nicht wahr? Sie trug sie immer in zwei langen, dicken Zöpfen?«

Die Alte nickte. »Und wie die flogen, wenn sie lief und sprang!«

»Aber, Kathi, ging sie denn niemals ordentlich, so wie ich und andere Menschen?«

»Das Frölen meint, so wie vorhin den Deich herunter?« Und die Alte streichelte mit ihrer harten Hand den Kopf des schönen Mädchens, das lachend zu ihr aufblickte. »Ja, ja, es hat richtig genug nachgeerbt! – Aber einmal, eines Morgens, da ging's mit dem Springen noch nicht hoch genug! Auf der sieben Fuß hohen Gartenmauer saß das Dingelchen mit ihrem Lehnstühlchen, mit ihrem Kindertischchen und ihrem ganzen Puppenteeservice darauf. An der Mauer stand ein alter, krummer Syringenbaum; daran hatte sie das alles hinaufgearbeitet und sich selber auch; und nun saß sie da, wie in 'ner Laube, mitten zwischen all den Blüten, die just damals aufgebrochen waren.«

– Die Mädchenknospe neckte ihre alte Freundin nicht mehr; nicht nur die kleinen Ohren, auch der geöffnete Mund und die dunklen Augen schienen die Geschichte mitzuhören. »Ich war die Kindsmagd für das jüngere Schwesterchen, für die Frau Tante Elsabe«, fuhr die Alte fort; »ich sollt wohl auch nach der Mama sehen; doch wer konnt allzeit den Wildfang hüten? Und das Stück Mauer war ganz unten in dem großen Garten, wo nicht alle Tage einer hinkam. – Aber heute, just da das Spiel am schönsten war, mußten wir nun doch dahin kommen; der Herr Bürgermeister hatte noch seinen geblümten Schlafrock an und die Zipfelmütze auf dem Kopfe. Er war immer ein leutseliger Herr gewesen. ›Komm, Kathi‹, rief er; ›nimm die kleine Elsabe auf den Arm; ich will euch mein Ranunkelbeet da oben an der Mauer zeigen!‹ – – Aber, was sahen wir, Frölen, was sahen wir!« – Das Frölen nickte. – »Da saß das feine Dingelchen auf der halsbrechenden Mauer, wie die Prinzeß im Kinderdöntje, und die Blumen hingen um sie herum; sie rührte eben mit einem Löffelchen in der kleinen Tasse, die sie in der Hand hielt, und brachte sie dann an den Mund, als wenn sie wirklich tränke, und nickte ihrer großen Puppe zu, die auch, in einem Korbstühlchen, ihr gegenüber an dem Tische saß. – Es schlug mir durch die Glieder; ich hätte bald das Tantchen Elsabe aus meinen Armen fallen lassen, und dem Herrn Bürgermeister stiegen die Haare und die Zipfelmütze in die Höhe; da stand er in seinem schönen Schlafrock und wagte weder A noch B zu sagen. – Doch nun war sie uns gewahr geworden: ›O Papa! – Papa und Kathi!‹ sagte sie erstaunt und

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