Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 118)

Alte, indem sie dem Mädchen das blonde Haar von der Stirn zurückstrich.

»Aber es geht erst recht, Kathi! Heut gibt's hier weder Wickelkinder noch alte Tanten; ganz allein hab ich heut das Reich, ich und über mir die Vögel in der Luft! Sieh nur da die schöne Silbermöwe! Hurra, Kathi, 's wird ne Lust!«

»Ja, ja, Frölen, selbst das Vogelzeug fliegt heut ans Land.«

»Oder vielmehr, sie werden vom Wind dahin geworfen! Aber ich, Kathi; so etwas lasse ich mir nicht gefallen!«

Die Alte sah sie voller Staunen an. »Aber, Kind, so sehen Sie doch nur, das Floß wippelt ja wie ein Schaukelpferd; der Weg dahin ist fußtief unter Wasser!«

Die junge Dame hob sich auf den Zehen und blickte zum Strand hinab. »Freilich«, sagte sie, lustig nickend, »ich muß mir Schuh und Strümpfe in deinem Schuppen ausziehen.«

In der Abteilung desselben, welche die beiden jetzt betraten, sah es in diesem Augenblicke wohnlich genug aus. Freilich waren auch drinnen nur die nackten Bretterwände; aber der Tür gegenüber stand eine mit bunten Polstern belegte Ruhebank, an der einen Seite befand sich neben den Fächern für die Badeutensilien ein mit braunen Kaffeekännchen, Dosen und Tassen besetztes Regal, und durch das der Stadt zu gelegene kleine Fenster schien die Mittagssonne und erwärmte und erleuchtete den ganzen Raum.

»Hm«, sagte das Mädchen und nickte lächelnd nach dem Regal hinauf, »die Frau Kammerrätin und die Frau Kriegsrätin und die Frau Baronin, die haben alle die Schlüssel zu ihren Kaffee- und Zuckerdosen in ihren Taschen; schau nur, da baumeln allenthalben die Vorhängeschlösser; da können wir nicht daran, Kathi.«

»Aber, Frölen, Sie trinken ja doch keinen Kaffee nach dem Bade, wie die drei alten Damen.«

»Nein, ich nicht, Kathi; aber du, wie bekommst du denn deine Tasse?«

»Ich, Frölen? Ich hab zu Haus meinen Zichorie; dann kriegt der Kater auch sein Teil.«

Die Mädchenknospe aber langte in den Schlitz ihres Kleides und legte gleich darauf zwei zierliche Papiertüten auf den unter dem Tassenregal stehenden Tisch. »Mokka«, sagte sie feierlich, »und – feinste Raffinade! Mama hat's mir eigens für dich eingewickelt; sie wußte wohl, daß du für mich allein heut Wache stehen müßtest. Und nun zünd dir die Spritmaschine an und koch dir deinen Kaffee, und – deinen Kater laß ich grüßen!«

Sie hatte sich aufs Sofa gesetzt und begann sich Schuhe und Strümpfe auszuziehen. Die alte Frau stand vor ihr und sah sie zärtlich an; aber sie dankte ihr nicht mit Worten, sie sagte nur: »Mama vergißt mich nicht«, und nach einer Weile: »Aber, Frölen, wollte denn Mama Sie gehen lassen?«

»Mich gehen lassen? – Mama ist nicht so ein Hasenfuß wie du! Sollt'st dich schämen, Kathi, so ein langer Kerl, wie du bist!«

»Ja, ja, Frölen, ich streit auch nicht. – Ich vergeß es nimmer – da ich Kindsmagd bei Ihrem Großvater, beim alten Bürgermeister war – die Angst, die ich oftmals ausgestanden; die Frau Mama – sie wird's mir nicht verübeln – war dazumalen grad nicht anders als wie das junge Frölen heute!«

Das junge Frölen hatte die nackten Füßchen zu sich auf die Sofakante gezogen und ließ sie behaglich

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