Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 14)
die Kälber nicht gebörmt; aber er lag voll getrunken auf dem Heuboden, und das Viehzeug schrie die ganze Nacht vor Durst, daß ich bis Mittag nachschlafen mußte; dabei kann die Wirtschaft nicht bestehen!‹
›Nein, Deichgraf; aber dafür ist keine Gefahr bei meinem Jungen.‹
Hauke stand, die Hände in den Seitentaschen, am Türpfosten, hatte den Kopf im Nacken und studierte an den Fensterrähmen ihm gegenüber.
Der Deichgraf hatte die Augen zu ihm gehoben und nickte hinüber: ›Nein, nein, Tede‹, und er nickte nun auch dem Alten zu; ›Euer Hauke wird mir die Nachtruh nicht verstören; der Schulmeister hat's mir schon vordem gesagt, der sitzt lieber vor der Rechentafel als vor einem Glas mit Branntwein.‹
Hauke hörte nicht auf diesen Zuspruch, denn Elke war in die Stube getreten und nahm mit ihrer leichten Hand die Reste der Speisen von dem Tisch, ihn mit ihren dunkeln Augen flüchtig streifend. Da fielen seine Blicke auch auf sie. ›Bei Gott und Jesus‹, sprach er bei sich selber, ›sie sieht auch so nicht dösig aus!‹
Das Mädchen war hinausgegangen. ›Ihr wisset, Tede‹, begann der Deichgraf wieder, ›unser Herrgott hat mir einen Sohn versagt!‹
›Ja, Deichgraf; aber laßt Euch das nicht kränken‹, entgegnete der andere, ›denn im dritten Gliede soll der Familienverstand ja verschleißen; Euer Großvater, das wissen wir noch alle, war einer, der das Land geschützt hat!‹
Der Deichgraf, nach einigem Besinnen, sah schier verdutzt aus: ›Wie meint Ihr das, Tede Haien?‹ sagte er und setzte sich in seinem Lehnstuhl auf; ›ich bin ja doch im dritten Gliede!‹
›Ja, so! Nicht für ungut, Deichgraf; es geht nur so die Rede!‹ Und der hagere Tede Haien sah den alten Würdenträger mit etwas boshaften Augen an.
Der aber sprach unbekümmert: ›Ihr müßt Euch von alten Weibern dergleichen Torheit nicht aufschwatzen lassen, Tede Haien; Ihr kennt nur meine Tochter nicht, die rechnet mich selber dreimal um und um! Ich wollt nur sagen, Euer Hauke wird außer im Felde auch hier in meiner Stube mit Feder oder Rechenstift so manches profitieren können, was ihm nicht schaden wird!‹
›Ja, ja, Deichgraf, das wird er; da habt Ihr völlig recht!‹ sagte der alte Haien und begann dann noch einige Vergünstigungen bei dem Mietkontrakt sich auszubedingen, die abends vorher von seinem Sohne nicht bedacht waren. So sollte dieser außer seinen leinenen Hemden im Herbst auch noch acht Paar wollene Strümpfe als Zugabe seines Lohnes genießen; so wollte er selbst ihn im Frühling acht Tage bei der eigenen Arbeit haben, und was dergleichen mehr war. Aber der Deichgraf war zu allem willig; Hauke Haien schien ihm eben der rechte Kleinknecht.
– – ›Nun, Gott tröst dich, Junge‹, sagte der Alte, da sie eben das Haus verlassen hatten, ›wenn der dir die Welt klar machen soll!‹
Aber Hauke erwiderte ruhig: ›Laß Er nur, Vater; es wird schon alles werden.‹
Und Hauke hatte so unrecht nicht gehabt; die Welt, oder was ihm die Welt bedeutete, wurde ihm klarer, je länger sein Aufenthalt in diesem Hause dauerte; vielleicht um so mehr, je weniger ihm eine überlegene Einsicht zu Hülfe kam, und je mehr er auf seine eigene Kraft angewiesen war,