Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 135)
anderen mit mir kamen. Mich trieb eine Angst – – nein, frag mich nicht! ich weiß nicht was! Aber hier hab ich mich sehr gefürchtet.«
»Welche anderen?« fragte er.
»Die mit mir hier sind: mein Oheim und meine Mutter. Ich war mit ihnen oben in den Gemäldesälen; ganz heimlich bin ich ihnen fortgelaufen.«
Dann plötzlich schoß es wie ein Blitz des alten Übermutes über das ein wenig blasse Antlitz. »Aber«, rief sie, »wie heißt du denn? Mein Gott, ich weiß nicht einmal deinen Namen!«
»Ja, rat einmal!«
Sie schüttelte das Köpfchen, daß die blonden Haare ihr in die Stirn fielen. »Nein, rate du zuerst!«
»Ich? Was soll ich raten?«
»Was du raten sollst? Als ob ich keinen Namen hätte!«
»Aber den kenne ich ja längst!« Er strich das seidene Haar ihr von der Stirn. »Sieh nur hin! Das bist du ja! Und glaub es nur, ich habe jeden Tag zu dir gesprochen in all der langen, langen Zeit.«
Von dunklem Purpur übergossen, schlang sie die Hände um seinen Hals und ließ ihn tief in ihre Augen blicken. »O, welch ein Glück, daß du der Künstler bist!«
Mit beiden Armen umfaßte er die Geliebte und küßte zum ersten Male den jungfräulichen Mund. – Dann aber flüsterten sie sich ihre Namen zu, ganz leise, als seien es Geheimnisse, die selbst die steinernen Gestalten um sie her nicht wissen dürften; und als sie seinen Namen hörte, rief sie: »O, wie schön! Du konntest gar nicht anders heißen!« Er aber blickte ganz träumerisch auf sie nieder; er konnte es nicht verstehen, daß sie »Maria« heiße.
Sie lachte, als er ihr das sagte, und flüsterte ihm zu: »Die alte Bürgermeisterin sagt es auch, ich sei verkehrt getauft.« »Getauft!« wiederholte er fast staunend. »Wie seltsam doch, daß du getauft bist!«
Einen Augenblick sah sie ihn fragend an; dann, wie zwei glückliche Kinder, lachten beide miteinander.
Aber sie waren hier nicht mehr allein. Vom Eingange her nahten sich Schritte, und im mittleren Saale wurde eine noch immer schöne Frau am Arme eines älteren Mannes sichtbar.
»Dein Töchterchen«, sagte dieser, nicht ohne einen Ausdruck von Besorgnis, »scheint doch nicht hier zu sein.«
Die Frau an seinem Arme lächelte. »Du mußt dich schon daran gewöhnen, daß sie ihre eigenen Wege geht; sie wird wohl oben noch von irgendeinem Bild gefangen sein. Aber die gerettete Psyche, wo ist denn die?«
Sie erhielt keine Antwort; denn in demselben Augenblicke hing auch das Kind an ihrem Halse. »Hier ist sie, Mutter; deine Tochter ist es! O, seid beide gut und freundlich!« Die jungen Augen glänzten; über die geöffneten Lippen ging schwer der Atem aus und ein.
»Mein Kind, mein liebes Kind!«
Die Mutter wollte sie beruhigen; aber schon hatte sie in freudiger Hast deren beide Hände ergriffen und zog sie über die Schwelle in den letzten Saal, wo der Geliebte in stummer Erwartung neben seinem Werke stand.
Daheim in der Werkstatt des Künstlers ging derweile zwischen den Statuen und Modellen eine kleine, alte Frau umher. Sie schien so recht nicht etwas vorzuhaben, trotz des Staubtuches in ihrer Hand, mit dem sie hie und da an den umherstehenden Dingen sich zu tun