Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 134)

und starrte mit aufgerissenen Augen seine Marmorgruppe an; ein kleiner Sonnenschirm, ein Sommerhut lagen am Boden neben ihr.

Nun wandte sie den Kopf, und ihre Augen trafen sich. Es war nur wie ein Blitz, der blendend zwischen ihnen aufgeleuchtet; aber das schöne, ihm zugewandte Mädchenantlitz war von einem Ausdruck des Entsetzens wie versteinert. Den schlanken Körper wie zur Flucht gebogen, und doch mit niederhängenden Armen, stand sie da; nur ihre Augen irrten jetzt umher, als ob sie einen Ausgang suchten.

Vergebens! Dort auf der Schwelle, die allein zur Freiheit führte, stand der schöne, furchtbare Mann, dem – seit wie lange schon! – selbst ihre Gedanken zu entfliehen strebten; zwar, wie sie selbst, noch immer unbeweglich, aber seine Arme waren nach ihr ausgestreckt.

Noch einmal wagte sie, ihn anzublicken; dann, wie ein ratloses Kind, vergrub sie das Gesicht in ihren Händen; all ihre Kühnheit hatte sie verlassen.

– – Und nur einen Augenblick noch schwankte das Zünglein der Wage zwischen Tod und Leben; aber dann nicht länger.

»Psyche! Süße, holde Psyche!« – Seine Lippen stammelten; und an beiden Händen hielt er sie gefangen.

Sie bog den Kopf zurück, und wie zwei Sterne sah er ihre Augen untergehen. Er ließ sie nicht; in trunkenem Jubel hob er sie auf seine Arme; er bog den Mund zu ihrem kleinen Ohre nieder, und leise, aber mit einer Stimme, die vor Entzücken bebte, sprach er, was er einst nur fern von ihr gedacht: »Nun laß ich dich nicht mehr; ich gebe dich an keinen Gott heraus!«

Da regte auch der schöne Mund des Mädchens sich. »Sage: nie!« kam es wie ein Hauch zu ihm herauf; »sonst muß ich heute noch vor Scham erblinden!«

»Nie!« rief er laut; und wie Donner des Weltgeschickes hallte es von den Wänden des hohen Saales ihm zurück. »Nie, solang ich hier im Lichte wandle!«

»Nein; sage: nie in alle Ewigkeit!«

»Nie in alle Ewigkeit! – Auch drunten, unter den flüsternden Schatten will ich bei dir sein!«

Seine Augen ruhten auf dem süßen Antlitz, das sie noch immer mit geschlossenen Lidern ihm entgegenhielt. Nun aber schlug sie leise die Wimpern auf; erst noch ein wenig zögernd, dann immer vertrauender blickte sie ihn an, und immer sonniger wurde der Ausdruck ihres lieblichen Gesichtes.

Wie lange er sie so an seiner Brust gehalten? – Wer könnte es sagen! – Ein Vogel, der von draußen aus den Kastanienbäumen gegen die Fensterscheiben flog, brachte den ersten Laut der Außenwelt zu ihren Ohren.

Da ließ er sie sanft zu Boden gleiten; nur mit einem Arm noch hielt er die leichte Gestalt umfangen. »Aber du!« sagte er – und es war, als wenn er plötzlich mit Erstaunen sie betrachte – »du schöne Lebendige, wie bist du nur hierher geraten? Oder versteht vielleicht das Glück sich ganz von selbst?«

Sie wies mit scheuem Finger auf die Marmorgruppe und barg zugleich den Kopf an seiner Brust. »Das da«, sagte sie. »Sie sprachen davon, daß es das Lieblichste von allem sei.« – Und kaum hörbar, so daß er sich tief zu ihrem Munde neigte, setzte sie hinzu: »Ich mußte es allein sehen, eh die

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