Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 132)
schon wieder dringend eingeladen.«
Unbewußt hatte die Mutter ein erschütterndes Wort gesprochen; der Sohn hatte ihr nicht geantwortet, er hatte es vor plötzlichem gewaltigen Herzklopfen nicht gekonnt; aber noch am selben Abend war ein Brief nach der Küstenstadt der Nordsee abgegangen.
Die Antwort darauf konnte er heute schon erwarten. Und jetzt wurde wieder die Tür geöffnet. Da war der Brief. – »Von Ernst!« Aus beklommener Brust hatte er es herausgestoßen; die Hülle flog zu Boden, und seine Augen verschlangen die vertraute Schrift des Freundes.
»Ich wußte wohl« – so schrieb der junge Aktenmann – »ich wußte wohl, daß du mir kommen würdest. – Seitdem dein Marmorbild die Stille deiner Werkstatt verlassen hat und aller Welt zur Schau steht, ist es nicht mehr sie; es ist, wie anderes, nur noch eine Schöpfung deiner Kunst. Nun streckst du nach der Lebendigen deine Arme aus; der Verlauf ist so natürlich, daß jeder Arzt ihn dir vorausgesagt hätte.
Ob du unerkannt ihr würdest nahen können, ob die Gewalt der Wellen – oder welche andere? – ihr damals tief genug die hellen Augen geschlossen hat, – wer möchte das entscheiden! – Glaub es immerhin! Ich rufe dir deinen eigenen Wahlspruch zu: Sei nur fromm und ehre die Götter.
Dein Zimmer und Freundeshände sind für dich bereit. Aber, Franz – und jetzt höre mich ruhig an! – du weißt es wohl noch, denn du hast ja auch deinen Ovid gelesen – irgendwo in der Welt, an der dreifachen Scheide von Erde, Luft und Wasser, steht auf einsamem Gipfel das ferne Haus der Fama; unzählbare Eingänge hat es, die tags und nächtens offenstehen; keine Ruh ist drinnen, in keinem Winkel ein Schweigen; wie ein Schwarm unsichtbarer Schlänglein läuft an den Decken der Säle das Gemurmel; ewig dröhnt es vom Geräusch aus- und einziehender Stimmen; kein noch so leises Flüstern, kein Seufzer einer Menschenbrust, und wenn aus tausend Meilen weiter Ferne, dessen letzter Hall hier nicht aufgefangen würde, den hier die tönenden Wände nicht hin- und widerwerfen und verdoppelt und verzehnfacht an das gierige Ohr der Welt hinaussenden.
Von dort muß es gekommen sein; denn die alte Bade-Kathi sieht mir nicht aus wie eine Schwätzerin. Aber sie wissen es, wissen es wirklich; sie reden davon, alle und überall; nur deinen Namen – vielleicht hat das Wellenrauschen ihn derzeit übertönt – scheint das eherne Haus nicht mit hinabgesandt zu haben. Ich habe meine gerechte Schadenfreude, wie sie mit den Nasen in der Luft forschen, wie vor Gier ihre Ohren in den Urzustand zurückkehren und wieder beweglich werden und dennoch nichts erhaschen.
Aber hundert täppische und tückische Hände griffen nach deinem schönen Schmetterling, um ihm den Schmelz von seinen Flügeln abzustreifen.
Da hat er sich denn einfach aufgeschwungen und ist davongeflogen; wohin, das hat auch mir die Fama bis jetzt noch nicht verraten wollen.«
– – Schon längere Zeit hatte die Mutter vor dem Lesenden gestanden und ihm in das erregte Angesicht geblickt. Jetzt wandte er ihr langsam seine Augen zu.
»Ich werde meine Psyche von der Ausstellung zurückziehen«, sagte er düster, »und dann, Mutter, reise ich; aber nicht nach