Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 130)
von alt und jung in Anspruch nahm. Ein junger, schilfbekränzter Stromgott, an abschüssigem Ufer emporsteigend, hielt eine entzückende Mädchengestalt auf seinen Armen. Trotz des zurückgesunkenen Hauptes und der geschlossenen Augenlider der letzteren sah man fast wie lauschend die Menschen an das Bild herantreten, als ob sie in jedem Augenblick den ersten neu erwachten Atemzug der jungen Brust erwarten müßten. – »Die Rettung der Psyche« war das Werk im Katalog bezeichnet.
Der Name des noch jungen Künstlers ging von Mund zu Mund; fortwährend war sein Werk von einer Menge von Bewunderern umdrängt; die Neugierigen, wo sie ihn erwischen konnten, plagten ihn auch wohl mit Fragen. »Nicht wahr, Verehrtester«, meinte ein alter Kunstmäzen, der vor dem Ausstellungsgebäude seinen Arm erhascht hatte und ihn nun innig festhielt, »das ist noch ein Motiv aus Ihrem römischen Aufenthalt? Wo haben Sie nur das allerliebste Köpfchen aufgefischt?«
Auf die erste Frage blieb der Künstler die Antwort schuldig; auf die zweite gab er bereitwillig Auskunft. »Ich liebe es, im Winter über Land zu schweifen; da sah ich eines Tages den Vorhang des Olympos wehen und war so glücklich, einen Blick hineinzutun.«
Der Alte sah ihn schelmisch an. »Sie wollen mir ausweichen. Nun – es muß ein langer Blick gewesen sein!«
Der junge Künstler schüttelte den Kopf.
»Aber, Verehrtester, Sie schauen ja plötzlich ganz melancholisch drein!«
»Ich? Nun, vielleicht, – Sie wissen wohl, man schaut nicht ungestraft ein Götterantlitz.«
»Ja, ja, Sie haben recht!« Und der Alte ließ sein Opfer für dieses Mal entwischen.
Wie es zu geschehen pflegt, nachdem die Bewunderung sich satt gesprochen, kam auch der Tadel dann zu Worte. Man fand das Ganze zu wenig stilvoll, das Herabhängen des einen Armes der Psyche insbesondere zu naturalistisch.
»Aber, ihr Männer, könnt ihr denn gar nicht sehen?« rief eine muntere, hellblickende Dame, die im Angesichte des Kunstwerks eben mit solchen Bemerkungen unterhalten wurde; »dieser schöne Arm ist eine Reminiszenz! Glauben Sie mir, das hat seine lebendige Geschichte, das Bildwerk ist ein Denkmal; vielleicht – –«
»Auf dem Grabe einer Liebe?«
»Vielleicht! Wer weiß!«
»O, gnädige Frau, Sie wissen mehr; verraten Sie es nur!«
»Ich weiß nichts, und wenn ich wüßte, so etwas wird von keiner Frau verraten.«
»Aber da wären wir ja mit aller Kritik am Ende!«
»Ich dächte, ja!«
Noch andere Ohren hatten dies Gespräch gehört. Ein junger Maler, ein Freund des Künstlers, trat bald danach in dessen Werkstätte und erstattete getreulichen Bericht.
Der Bildhauer hatte auffallend schweigsam zugehört. Er lehnte mit dem Rücken gegen das Fenster, die Arme ineinander geschränkt, gleich einem Mann, der seine Arbeit für getan hält. In der Ecke am Eingange stand, noch immer unvollendet, die dräuende Walküre, neben dem Bacchuszuge blies der Faun noch seine Flöte; die Morgensonne leuchtete hell herein, aber Spuren eines neuen Werkes waren nicht zu sehen.
»Willst du noch weiter hören, Franz?« fragte der Maler. »Es gibt des Unsinns noch einen ganzen Haufen mehr.«
Der andere bewegte leicht den Kopf.
»Nun also, zunächst! – Warum ist dein bekränzter Stromgott, gleich der Psyche, so entzückend jung? Die Wirkung durch den Gegensatz wäre ja doch unendlich packender und das Gefühl des dezenten lieben Publikums zugleich so schön gesichert gewesen,