Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 199)

Haupt an seine Brust legte und seine Arme sie so sanft und doch so fest umfingen, als ob er gegen Feindesmacht sie schützen müsse.

Aber auch von heimlichster Liebe geht ein Schimmer aus, der sie verrät. Als eines Vormittags der Junker, das Haupt von jungem Glücke schwer, aus den hohen Bäumen hart an dem Turmhaus vorgeschritten war, sprach eine Stimme neben ihm: »Ich bin daheim geblieben, Junker, damit Ihr mich nicht allezeit verfehlen möget.«

Junker Hinrich brauchte nicht erst aufzublicken; er kannte Owe Heikens' Stimme schon seit seinen Kinderjahren; aber er war doch zusammengefahren und stand keines Wortes mächtig vor dem alten Freund und Diener, obwohl kein Arg in seinem Herzen war. Da sprach dieser von neuem: »Lasset uns wie sonst den Wolf jagen, Junker, oder eine Wildsau, wenn wieder trotz des Grauhunds sich eine hier herüberwagt; aber lasset das Kind in Frieden, das itzt unter meinem Dache schläft.«

Der Junker hob den Kopf, als ob er sprechen wolle. »Nein, redet nicht, Junker!« wehrte ihm der Alte; »ich weiß ja, was Ihr in Gedanken heget; Ihr seid nicht wie die andern drüben in des Königs Anteil, wo man ein Gesetz will ausgehen lassen, daß alle Jungfernschänder, hoch und nieder, es an Leib und Leben büßen müssen ...«

Er kam nicht weiter. Herr Hinrich hatte strack sich aufgerichtet, ein jähes Feuer schoß aus seinen Augen: »Owe Heikens!« schrie er, und seine Faust griff nach des Alten Brust. Doch einen Augenblick nur, und er ließ sie wieder sinken; denn von drüben aus dem Turm scholl es, als ob drinnen leichte Füße die Treppe von dem obern Stock hinunterhuschten, und dabei schwang ein süßer Sang sich durch die Luft:

Sein Herz von meinem Herzen

Das bringet niemand los;

O lieber Gott im Himmel,

Die Lieb ist gar zu groß!

Mit verklärtem Antlitz stand der Junker; doch Owe Heikens sagte: »Sorget nicht, Herr Hinrich; sie wird nicht kommen heut; das Tor ist abgeschlossen und der Schlüssel hier in meinem Schubsack!«

Er hatte das fast zornig hingeredet; doch der Junker achtete dessen nicht: »Laßt gut sein, Owe«, sprach er; »aber ich denke, du solltest mich nicht mit derlei Schelmenworten paaren!«

»Wenn Ihr das denkt, Herr Hinrich«, und der Alte sah schier traurig zu ihm auf, »was denket Ihr dann weiter? In welcher Kammer in Eueres Vaters Hause soll Euer Ehbett mit des geringen Mannes Tochter stehen? Oder wolltet Ihr Euer Erbe gar darum verspielen? Und wenn Ihr es wolltet – ich sag nichts gegen unsres Herren Söhne; aber es würde groß Klagen geben, so Euer hochgelahrter Herr Bruder hier zum Regiment gelangte.«

Da fuhr der Junker auf: »Du faselst, Owe; wie sollten meines Bruders Hände nach meinem Gute greifen! Wenn unsres Vaters Augen, die Gott noch lang in dieser Zeitlichkeit belassen wolle, sich einst zu besserer Schau geschlossen haben, dann werden meine über euch sein, so wie es immer Recht und Brauch bei uns gewesen ist.«

Als er solches sagte, wurde inner des Hoftores wie von vorsichtiger Hand ein Rütteln hörbar. »Bärbe!« rief der Junker. »Schließ auf, Owe! Da sollst du sehen, daß Gottes Sonne uns bescheinen mag

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