Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 197)

Turmhaus vor ihm aufstieg. Mit seinem oberen Stockwerke überragte es die hohe Mauer, welche zum Schutze gegen streifendes Raubgetier den davorliegenden Hof umschloß; das rote Tor derselben leuchtete weithin in der Herbstsonne. Die Heide hatte abgeblüht; dafür begannen schon die Eichen, welche den Bau umstanden, ihre Blätter bunt zu färben; lautlose Stille herrschte, die Zweige, die sich über das Dach erstreckten, lagen ohne Regung auf den schwarzbraunen Pfannen.

Der Junker stand schon oben und hatte den Griff der Pforte in der Hand, als von jenseit der Mauer der jähe Aufschrei eines Huhnes an sein Ohr schlug. »Holla!« rief er und erschrak fast selbst vor seinem lauten Ruf; »ist wieder mal der Falk hineingestoßen?«

Er hatte das Tor geöffnet; aber es war kein Falke aufgeflogen; statt dessen sah er drüben neben der Haustür das schöne Mädchen aus des Kornschreibers Garten auf dem großen Feldstein sitzen. Zwischen ihren Knieen hielt sie ein schwarzes Huhn, das krächzend mit den Flügeln schlug und mit dem Schnabel nach der blonden Flechte hackte, die in ihren Schoß herabgestürzt war.

»Sie ist es, Jungfer!« sagte Herr Hinrich, indes er zögernd näher trat, und sah nun erst, daß ihr in der andern Hand ein Messer blitzte.

Das erhitzte Köpfchen, das rückwärts gegen die Mauer lehnte, hatte sich aufgerichtet: »Ich kann nicht!« sprach sie wie zu sich selber. Sie grüßte nicht, nur ihre blauen Augen blickten ratlos und fast hülfesuchend auf den vor ihr Stehenden.

»Was könnet Ihr nicht, Jungfer?« frug Junker Hinrich, als ob er plötzlich einen Schalksstreich berge.

Da kam ein kläglich Lächeln auf des Mädchens Antlitz; sie hub das Huhn empor und sagte: »Der Ohm, da er mit dem Knecht früh in den Wald ging, hat es mir geschenkt; mein Vater verträgt anitzo nicht die rauhe Kost.«

– »Ist denn dein Vater krank?«

»Er ist alt, Herr; das jüngsthin in der Nacht, Ihr wisset ja, er hat das nicht verwinden können.« Dann stand sie plötzlich mit heißem Antlitz vor ihm: »Zürnet auch nicht, Herr Junker; ich hätt's Euch tausendmal schon danken sollen!«

Sie hatte das Messer samt dem Tiere fahren lassen; doch Junker Hinrich hatte sich gebückt und beides aufgegriffen: »Vergeßt nur nicht auf Eures Vaters Süpplein, Jungfer!« sagte er.

Dann aber tat das schöne Mädchen gleichzeitig mit dem Huhne einen lauten Schrei, denn ein Blutstrahl war emporgeschossen, gar ein paar Tropfen standen rot auf ihrer weißen Schürze. »Ihr habt es totgemacht!« rief sie und sah bestürzt auf den noch zuckenden Vogel, den er jetzt nebst dem Messer auf den Steinsitz niederlegte.

»Ich wollt's dir abnehmen, Bärbe«, sprach er; »aber nun fürchtest du dich wieder vor mir, wie dazumal die kleine Bärbe, die dann nimmermehr auf unsern Hof gekommen ist; und, freilich, hatte ihr Ursach vollauf dazu gegeben.«

»Nein, o nein, Herr Junker!« und sie sah wie eine Schuldige zu Boden; »lasset doch das, Ihr waret dermalen noch so jung! – Itzt, ich weiß es, und alle wissen es, auch drüben in der Stadt – Ihr könntet keinem Kind ein Leides tun!«

Den Junker Hinrich überkam's: »Sprecht mich nicht heilig, Jungfer Bärbe; das mit dem Christoph mag schon ruhen

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