Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 203)

gab nähere Vorschrift über den Vollzug und wie dadurch die Lücken der weltlichen Gerechtigkeit zu füllen seien.

Der Junker hatte vorhin das Blatt aus der Hand gelegt; jetzt griff er wiederum danach; er schien zu grübeln, wie er es in seinem Dienst verwenden könne.

Schon mehrmals hatte es von draußen an die Tür gepocht, ohne daß ein Ruf darauf erfolgt war; jetzt wurde sie gleichwohl geöffnet, und der Gutsherr fuhr aus seinem Sinnen auf: »Er ist es, Pastor? Gut, daß er gekommen ist.«

Nachdem derselbe dann ein zweites Glas gefüllt und der Pastor ihm daraus Bescheid getan hatte, schritt letzterer zu einem kleinen Tische an dem Mittelfenster, schüttete aus einem Kästchen die in Buchs geschnitzten Figuren eines Schachspiels und stellte sie auf die in die Tischplatte eingelegten Felder, ein schweigend übernommenes Amt, das er bei seinen Besuchen stets zu üben pflegte.

Auch heute ließ der Hausherr ihn gewähren, und bald saßen beide sich gegenüber: der geistliche Herr im schwarzen Talar, das gleichfarbige Käppchen auf dem dünnen Haare, das an den hageren Schläfen niederhing; der andre im bequemen Hauskleid, das er oft zur Seite schlug, als ob es ihn beklemme; der Wein stand neben ihnen, und der Junker stürzte oft sein Glas hinunter. Aber sein Spiel war nicht wie sonst, wo er nach kurzer Weile dem Pastor ein »Viktoria!« zuzurufen pflegte; heut hatte er schon mehrmals auf bescheidene Erinnerung desselben seinen Zug zurückgenommen; aber immer wieder schob er Bauern und Offiziere unachtlich über die Felder und faßte sie, als ob er sie zerbrechen möchte.

»Mein Herr Patron«, sagte der Pastor, »wälzt wichtigere Dinge in Gedanken; Eure Dame steht abermals im Schach!«

Da schob der Junker das Tischlein von sich, daß die Figuren durcheinander stürzten. »Das Spiel ein andermal! Ich hab mit Ihm zu reden, Pastor!«

Er war aufgestanden, und bald wanderten beide im Zwiegespräche auf und ab. Der Geistliche hatte mehr und mehr das Haupt erhoben, seine Antworten wurden kurz und sparsam; sicher und bedächtig schritt er an der Seite des immer lauter redenden Patrons. »Und seh Er es nicht an«, rief dieser, »wes Standes und Geschlechts der Sünder sei! Bete Er, wie vorgeschrieben, von der Kanzel über ihm und kündige ihm dann Bann und Gottes Zorn vor sitzender Gemeinde!«

»Ihr vergesset«, sprach der andre, »daß auch, so Euer Sohn der Sünder wäre, die Ladung durch den Küster und die Vermahnung in Gegenwart der Kirchenvorsteher vorangehen müßte, was Euch wohl kaum anstehen dürfte.«

»Ei was! Vermahnet hab ich selber!« rief der Herr von Grieshuus; »wenn's der Patron tut, braucht es nicht der Bauerntölpel!« Und als von der andern Seite keine Antwort drauf erfolgte, fügte er hinzu: »Ich weiß ja, Er versteht's; mach Er's nur, wie um letzte Ostern der Magister in der Stadt! Es war dort auch ein Bube, der gegen den Vater seine Faust gehoben hatte.«

Da sagte der Priester: »Das hat Junker Hinrich nimmermehr getan!«

Aber der Hausherr schrie: »Gegen alle seine Väter hat er die Faust gehoben; aber die unten in den Särgen liegen, können's nicht; darum muß ich ihr Recht verwahren!«

»Tuet es!« sagte der Pastor; »ich kann es

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