Literaturepoche Exil / Innere Emigration / Nazi-Literatur (Seite 9)

Für Dramatiker war die Exilsituation besonders schwierig, sie schrieben fast alle ohne Aussicht auf Veröffentlichung oder Aufführung. Für Bertolt Brecht und Margarete Steffin (1908-1941), die gemeinsam Stücke wie „Die Gewehre der Frau Carrar" (1937), „Furcht und Elend des Dritten Reiches" (1938), „Mutter Courage" (1939) und andere schrieben, waren die Jahre des Exils ihre produktivste Zeit.

Anna Seghers hat in ihrer in der französischen Emigration entstandenen Reportage „Frauen und Kinder in der Emigration" anhand anschaulicher Beispiele gezeigt, dass die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bei der Bewältigung des Alltags in verschärftem Maße für die Exilsituation zutrifft: Frauen sind es, gleich welcher sozialer Herkunft, Religion, Berufsausbildung und welchen Alters, auf denen die Hauptlast des Lebens liegt. Während Männer (auch Schriftsteller) in der Regel versuchten, in ihren erlernten Berufen zu arbeiten, sorgten Frauen für Unterkunft und Essen, für Visa und finanzielle Unterstützung: sie putzten fremde Wohnungen, hüteten fremde Kinder, halfen in fremden Haushalten, und vor allem: sie lernten die fremde Sprache, um arbeiten und sich zurechtfinden zu können. Viele Emigrantinnen kompensierten die Lebensfremdheit ihrer Männer, sie stellten eigene Wünsche und Möglichkeiten, eigenes Können und eigene Empfindlichkeiten zurück und richteten ihre ganze Kraft auf die Alltagsbewältigung, auf die materielle und seelische Unterstützung ihrer Familie. Weder Ernst Bloch noch Lion Feuchtwanger, weder Thomas Mann noch Bertolt Brecht, um nur ein paar Beispiele zu nennen, hätten im Exil die Produktivität entfalten können, von der ihre Werke zeugen, hätten nicht Karola Bloch, Martha Feuchtwanger, Erika Mann, Helene Weigel, Margarete Steffin, Ruth Berlau ihnen ihre eigene Kraft und Zeit zur Verfügung gestellt. Für Frauen, die in den zwanziger Jahren bereits als Schriftstellerin einen Namen hatten oder die damals zu schreiben begannen, war es - hatten sie Mann und/oder Familie - keineswegs selbstverständlich, dass ihre Männer ihnen das Schreiben ermöglichten. Für die weitaus meisten der emigrierten Autorinnen bedeutete die Vertreibung zugleich das Verstummen als Schriftstellerin, als Dichterin. Ein Beispiel ist die jüdische Lyrikerin Mascha Kaléko, die in der us-amerikanischen Emigration, wo sie mit ihrem Mann, dem Musiker Chemjo Vinaver und ihrem Sohn seit 1938 lebte, nur einen Gedichtband veröffentlichte. Sie besorgte den Lebensunterhalt für die Familie, unterstützte die künstlerische Arbeit ihres Mannes, übersetzte und verhandelte für ihn, begleitete ihn zu Konzerten. Ironisch stellt sie diese Arbeit, der sie die eigene lyrische Produktion fast vollständig unterordnete, in dem Gedicht „Die Leistungen der Frau in der Kultur" in eine historische Tradition. „Zu deutsch: ‚Die klägliche Leistung der Frau‘. / Meine Herren, wir sind im Bilde. / Nun, Wagner hatte seine Cosima / Und Heine seine Matilde. / Die Herren vom Fach haben allemal / Einen vorwiegend weiblichen Schatz. / Was uns Frauen fehlt, ist ‚Des Künstlers Frau‘ / Oder gleichwertiger Ersatz." (So die erste Strophe)

Aus dem Verstummen der vertriebenen Schriftstellerinnen und Schriftsteller unter den Bedingungen des Exils wurde allzu oft ein dauerhaftes; dass es dazu kommen konnte, dazu trugen auch die Nachkriegsverhältnisse im Westen Deutschlands bei. Man vergaß die Emigranten, die Teil der Geschichte des Dritten Reiches waren, genauso wie das Dritte Reich selbst bald der Verdrängung anheim fiel. Anders war die Situation in der späteren DDR, wo die zurückgekehrten Emigranten sich am Aufbau des ‚anderen‘ Deutschland beteiligten und die Literatur der (frühen) DDR mitprägten. Als Stichworte für die westdeutsche „Vergangenheitsbewältigung" mögen hier Buchtitel wie „Die Unfähigkeit zu trauern" (1967) von Alexander und Margarete Mitscherlich sowie „Die zweite Schuld" (1987) von Ralph Giordano genügen.

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