Ungekürztes Werk "Ledwina" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 30)
kann ich nicht sagen.«
»Wahrscheinlich«, rief Klemens, »um der unschuldigen Erbsenläuse willen, die sich zuweilen drin finden.«
»Gingen Sie auch noch weiter in die Höhle?« sagte Julie.
»Ja, Fräulein«, versetzte Karl, »wir schämten uns, umzukehren, was im Grunde wohl jeder von uns lieber getan hätte; denn wir waren alle erschüttert von dem Anblick des Schrecklichsten, was die Natur hat. Aber wie denn – ich weiß nicht, soll ich gottlob oder leider sagen –, wie sich denn solche traurige Eindrücke, die unser eigenes Schicksal nicht berühren, so leicht verwischen, so dachten wir in ein paar Tagen nicht ferner daran, als um den Fritz Herdring ›Maria Magdalena‹ zu nennen, und so blieb von der ganzen greulichen Geschichte nichts übrig als ein fader Scherz.« Eine kurze Stille entstand.
Dann begann Warneck: »Der Wahnsinn ist eine Sache, worüber geistliche und weltliche Gesetze verbieten sollten, nicht gar zu scharf zu grübeln und untersuchen. Ich glaube, daß nichts leichter zur Freigeisterei führt.«
»Ich sollte eher meinen«, fiel Türk ein, »ins Tollhaus.«
Warneck versetzte: »Eins von beiden, und sehr leicht beides zugleich.«
Wieder eine Stille, dann sagte Warneck: »Ich habe in dieser Art auch manche greuliche Erfahrung gemacht; aber nichts ist mir lebhafter als das Bild einer alten Frau in Westfalen, die ich in Begleitung eines düstern, grämlichen, schon nicht mehr jungen Mädchens an der Tür des Gasthofes fand, in dem ich wohnte. Die verkümmerte Physiognomie der Alten, irr, aber ohne eine Spur von Wildheit, machte mein Mitleid rege, und ich hielt mich einen Augenblick bei ihr auf. Sie benagte langsam eine harte, trockene Brotkruste; dann hielt sie wie erschrocken inne, steckte die Finger in den Mund und hielt die Trümmer eines ihr eben ausgefallenen Zahnes in ihrer Hand. Nun zog sie ein schmutziges Papier aus der Tasche, wickelte es auf und legte den Zahn zu einigen anderen alten Stücken von Zähnen. Das Mädchen sagte auf meine Nachfrage, die Base hebe alle ihre Zähne auf, wie sie ihr von nach und nach ausfielen, um – hier zog die Kreatur das Gesicht zum Lachen; mir wurde ganz schlimm dabei – nun also – um, wenn sie dereinst hinkäme, wo Heulen und Zähneklappern sei, sie doch auch nicht immer zu heulen brauche, sondern zuweilen zähneklappern könne. Mein Wirt sagte mir späterhin, sie sei immer eine sehr brave Frau gewesen, aber da ihr Mann, ein kleiner Krämer, einen einigermaßen verschuldeten Bankerott gemacht und da einige dabei zu Schaden gekommene Familien sie in der ersten Wut mit Verwünschungen überhäuft, sei sie wahnsinnig geworden und meine nun, für den Bankerott verdammt zu sein. Nur im Frühling, wenn die Himmelsschlüssel blühen, sei sie fröhlich und trage Tag und Nacht große Sträuße davon bei sich, weil sie meint, wenn sie in dieser Zeit stürbe, könne sie damit den Himmel aufschließen. Wenn die Blumen anfangen abzunehmen, werde sie immer ängstlicher und suche zuletzt mit der größten Anstrengung nach den letzten Blumen; auch zuletzt, wo die Blütenzeit schon vorüber. Nachher müsse sie immer lange liegen; so habe sie sich abgequält.«
Warneck schwieg, und ein allgemeines Gespräch über Wahnsinn, menschliche Geisteskräfte usw. entstand und verlor