Ungekürztes Werk "Ledwina" von Annette von Droste-Hülshoff (Seite 28)
wollte hastig umkehren; denn glühend und erschöpft ließ sich soeben die Schwester auf eine der Stufen nieder; aber jene winkte rasch bittend mit der Hand, und Therese trat in die geöffnete Tür. Nicht lange, so erschien auch Ledwina, und man setzte sich zu Tisch. Elise wollte sich durchaus neben Ledwinchen setzen, aber Therese zog sie zu sich hinüber.
»Du sollst mir vorlegen helfen«, sagte sie, und dies war Elisen auch sehr recht.
Tischgespräche begannen und stockten wieder. Herr von Bendraet sprach von einer Reise, die er vorhabe.
»Wenn ich einmal das große Los gewinne«, rief Julie, »so will ich immer reisen; ich kann mir kein größeres Glück denken.«
»Ich glaube«, versetzte Elise, »daß das gar zu viele Reisen Frauenzimmern nicht gut tut und sie unstet und unzufrieden im Hause macht; ich will lieber zu Hause bleiben und lasse mir anderer Leute Reisen erzählen. Ach, wie schön hat uns Baron Warneck nicht gestern unterhalten! Sie müssen auch vieles erzählen können, Herr von Brenkfeld.«
»Hat Ihnen Warneck öfters erzählt?« fragte Karl.
»Ich mag nicht daran denken, wie oft wir oder eigentlich ich den Herrn von Warneck schon belästigt haben. Wirklich, je weniger ich selbst zu sehen hoffe und wünsche, je weniger kann ich mir den Ersatz einer lebhaften Beschreibung versagen.«
»Der Warneck ist ein gequälter Mann«, lachte Julie, »ich fürchte immer, er bleibt noch ganz fort; denn was der für Anfechtungen von Elise zu erleiden hat!«
Elise sah scharf aus, und Karl sagte: »Wenn Ihnen Warneck viel erzählt hat, so sind meine kleinen Erfahrungen brotlos; denn er hat dieselben Gegenden beobachtet und durchsucht, die nur an mir vorübergeflogen sind, wie in der Laterna magica.«
Er neigte sich zu Warneck, der aus dem Gespräche mit Louis Bendraet auflauschte, da er seinen Namen nennen hörte.
»Ich sage, Sie haben nicht nur viel mehreres, sondern auch alles jene gesehen, wovon ich erzählen könnte.«
»Auf die Weise«, versetzte Warneck, »würden uns die vielen Reisebeschreibungen eben von jenen Gegenden gewiß nichts übrig gelassen haben. Es sind die verschiedenartigen Ansichten und Empfindungen, die kleinen Unfälle und Begebenheiten der Reise, die eine Reiseerzählung aus dem hundertsten Munde so merkwürdig machen wie aus dem zweiten, und zudem in der Schweiz, wo die ergreifendsten Naturbilder so gemein wie das tägliche Brot sind; wer kann da glauben, alles gesehen zu haben? Gesetzt, ich habe den Schaffhauser Wasserfall in der Sonne schimmern gesehen, Sie aber sahen ihn beim Sturm oder im Nebel, welches verschiedenartige und doch gleich wunderbare Schauspiel! Und von allen den herrlichen Schluchten und Höhlen habe ich nur wenig gesehen, da ich sehr zum Schwindel geneigt bin.«
»In den Höhlen bin ich tüchtig umhergestiegen«, sagte Karl.
»Es muß ein seltsam angenehmes Gefühl sein«, fiel Louis Bendraet ein, »so in voller Lebenskraft unter der Erde zu wandeln, wie begraben, in dem feuchten, modrichten Gesteine. Ich möchte es mitmachen.«
»Du bist mir der rechte Held«, rief sein Bruder, »du willst halsbrechende Klettereien unternehmen und bist so schwindlicht wie eine Eule; man muß dich wie eine Kuh am Stricke führen und nötigenfalls über die Schulter hängen.«
»Was meinst du, Louis«, lachte Warneck, »das würde doch unpoetisch aussehen, und zudem