Ungekürztes Werk "Faust 2" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 58)

würdig

Sei gesegnet ein solcher Empfang!

Alles vom Chor Ausgesprochene geschieht nach und nach.

Faust.

Nachdem Knaben und Knappen in langem Zug herabgestiegen,

erscheint er oben an der Treppe in ritterlicher

Hofkleidung des Mittelalters und kommt langsam-würdig herunter.

CHORFÜHRERIN ihn aufmerksam beschauend.

Wenn diesem nicht die Götter, wie sie öfter tun,

Für wenige Zeit nur wundernswürdige Gestalt,

Erhabnen Anstand, liebenswerte Gegenwart

Vorübergänglich liehen, wird ihm jedesmal,

Was er beginnt, gelingen, seis in Männerschlacht,

So auch im kleinen Kriege mit den schönsten Fraun.

Er ist fürwahr gar vielen andern vorzuziehn,

Die ich doch auch als hochgeschätzt mit Augen sah.

Mit langsam-ernstem, ehrfurchtsvoll gehaltnem Schritt

Seh ich den Fürsten: wende dich, o Königin!

FAUST herantretend, einen Gefesselten zur Seite.

Statt feierlichsten Grußes, wie sich ziemte,

Statt ehrfurchtsvollem Willkomm bring ich dir

In Ketten hart geschlossen solchen Knecht,

Der, Pflicht verfehlend, mir die Pflicht entwand.

Hier kniee nieder, dieser höchsten Frau

Bekenntnis abzulegen deiner Schuld!

Dies ist, erhabne Herrscherin, der Mann,

Mit seltnem Augenblitz vom hohen Turm

Umherzuschaun bestellt, dort Himmelsraum

Und Erdenbreite scharf zu überspähn,

Was etwa da und dort sich melden mag,

Vom Hügelkreis ins Tal zur festen Burg

Sich regen mag, der Herden Wogen seis,

Ein Heereszug vielleicht: wir schützen jene,

Begegnen diesem. Heute: welch Versäumnis!

Du kommst heran, er meldets nicht! verfehlt

Ist ehrenvoller, schuldigster Empfang

So hohen Gastes. Freventlich verwirkt

Das Leben hat er, läge schon im Blut

Verdienten Todes; doch nur du allein

Bestrafst, begnadigst, wie dirs wohlgefällt.

HELENA. So hohe Würde, wie du sie vergönnst,

Als Richterin, als Herrscherin, und wärs

Versuchend nur, wie ich vermuten darf –

So üb ich nun des Richters erste Pflicht:

Beschuldigte zu hören. Rede denn!

TURMWÄRTER LYNKEUS.

Laß mich knieen, laß mich schauen,

Laß mich sterben, laß mich leben,

Denn schon bin ich hingegeben

Dieser gottgegebnen Frauen!

Harrend auf des Morgens Wonne,

Östlich spähend ihren Lauf,

Ging auf einmal mir die Sonne

Wunderbar im Süden auf.

Zog den Blick nach jener Seite,

Statt der Schluchten, statt der Höhn,

Statt der Erd- und Himmelsweite

Sie, die Einzige, zu spähn.

Augenstrahl ist mir verliehen

Wie dem Luchs auf höchstem Baum;

Doch nun mußt ich mich bemühen

Wie aus tiefem, düsterm Traum.

Wüßt ich irgend mich zu finden?

Zinne? Turm? geschlossnes Tor?

Nebel schwanken, Nebel schwinden,

Solche Göttin tritt hervor!

Aug und Brust ihr zugewendet,

Sog ich an den milden Glanz;

Diese Schönheit, wie sie blendet,

Blendete mich Armen ganz.

Ich vergaß des Wächters Pflichten,

Völlig das beschworne Horn –

Drohe nur, mich zu vernichten!

Schönheit bändigt allen Zorn.

HELENA. Das Übel, das ich brachte, darf ich nicht

Bestrafen. Wehe mir! welch streng Geschick

Verfolgt mich, überall der Männer Busen

So zu betören, daß sie weder sich

Noch sonst ein Würdiges verschonten. Raubend jetzt,

Verführend, fechtend hin und her entrückend,

Halbgötter, Helden, Götter, ja Dämonen,

Sie führten mich im Irren her und hin.

Einfach die Welt verwirrt ich, doppelt mehr;

Nun dreifach, vierfach bring ich Not auf Not. –

Entferne diesen Guten, laß ihn frei!

Den Gottbetörten treffe keine Schmach!

FAUST. Erstaunt, o Königin, seh

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