Ungekürztes Werk "Torquato Tasso" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 12)

das Wünschenswerte kennen.

So sucht man in dem weiten Sand des Meers

Vergebens eine Perle, die verborgen

In stillen Schalen eingeschlossen ruht.

Prinzessin:

Es fingen schöne Zeiten damals an,

Und hätt uns nicht der Herzog von Urbino

Die Schwester weggeführt, uns wären Jahre

Im schönen ungetrübten Glück verschwunden.

Doch leider jetzt vermissen wir zu sehr

Den frohen Geist, die Brust voll Mut und Leben,

Den reichen Witz der liebenswürd’gen Frau.

Tasso:

Ich weiß es nur zu wohl, seit jenem Tage,

Da sie von hinnen schied, vermochte dir

Die reine Freude niemand zu ersetzen.

Wie oft zerriß es meine Brust! Wie oft

Klagt ich dem stillen Hain mein Leid um dich!

“Ach!” rief ich aus, “hat denn die Schwester nur

Das Glück, das Recht, der Teuern viel zu sein?

Ist denn kein Herz mehr wert, daß sie sich ihm

Vertrauen dürfte, kein Gemüt dem ihren

Mehr gleichgestimmt? Ist Geist und Witz verloschen?

Und war die eine Frau, so trefflich sie

Auch war, denn alles?” Fürstin! o verzeih!

Da dacht ich manchmal an mich selbst und wünschte

Dir etwas sein zu können. Wenig nur,

Doch etwas, nicht mit Worten, mit der Tat

Wünscht ich’s zu sein, im Leben dir zu zeigen,

Wie sich mein Herz im stillen dir geweiht.

Doch es gelang mir nicht, und nur zu oft

Tat ich im Irrtum, was dich schmerzen mußte,

Beleidigte den Mann, den du beschütztest,

Verwirrte unklug, was du lösen wolltest,

Und fühlte so mich stets im Augenblick,

Wenn ich mich nahen wollte, fern und ferner.

Prinzessin:

Ich habe, Tasso, deinen Willen nie

Verkannt und weiß, wie du dir selbst zu schaden

Geschäftig bist. Anstatt daß meine Schwester

Mit jedem, wie er sei, zu leben weiß,

So kannst du selbst nach vielen Jahren kaum

In einen Freund dich finden.

Tasso: Tadle mich!

Doch sage mir hernach: wo ist der Mann,

Die Frau, mit der ich wie mit dir

Aus freiem Busen wagen darf zu reden?

Prinzessin:

Du solltest meinem Bruder dich vertraun.

Tasso:

Er ist mein Fürst! – Doch glaube nicht, daß mir

Der Freiheit wilder Trieb den Busen blähe.

Der Mensch ist nicht geboren, frei zu sein,

Und für den Edlen ist kein schöner Glück,

Als einem Fürsten, den er ehrt, zu dienen.

Und so ist er mein Herr, und ich empfinde

Den ganzen Umfang dieses großen Worts.

Nun muß ich schweigen lernen, wenn er spricht,

Und tun, wenn er gebietet, mögen auch

Verstand und Herz ihm lebhaft widersprechen.

Prinzessin:

Das ist der Fall bei meinem Bruder nie.

Und nun, da wir Antonio wieder haben,

Ist dir ein neuer kluger Freund gewiß.

Tasso:

Ich hofft es ehmals, jetzt verzweifl ich fast.

Wie lehrreich wäre mir sein Umgang, nützlich

Sein Rat in tausend Fällen! Er besitzt,

Ich mag wohl sagen, alles, was mir fehlt

Doch – haben alle Götter sich versammelt,

Geschenke seiner Wiege darzubringen,

Die Grazien sind leider ausgeblieben,

Und wem die Gaben dieser Holden fehlen,

Der kann zwar viel besitzen, vieles geben,

Doch läßt sich nie an seinem Busen ruhn.

Prinzessin:

Doch läßt sich ihm vertraun, und das ist viel.

Du mußt von einem Mann nicht alles fordern,

Und dieser leistet, was er dir verspricht.

Hat er sich erst für deinen Freund erklärt,

So sorgt er selbst für dich, wo du dir fehlst.

Ihr müßt verbunden sein! Ich schmeichle mir,

Dies schöne Werk in kurzem zu vollbringen.

Nur widerstehe nicht, wie du es pflegst!

So haben wir Lenoren lang besessen,

Die fein und zierlich ist, mit der es leicht

Sich leben läßt; auch dieser hast du nie,

Wie sie es

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