Ungekürztes Werk "Torquato Tasso" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 6)

ich’s endlich denn in meinen Händen

Und nenn es in gewissem Sinne mein!

Lang wünscht ich schon, du möchtest dich entschließen

Und endlich sagen: Hier! es ist genug.

Tasso:

Wenn ihr zufrieden seid, so ist’s vollkommen;

Denn euch gehört es zu in jedem Sinn.

Betrachtet ich den Fleiß, den ich verwendet,

Sah ich die Züge meiner Feder an,

So konnt ich sagen: Dieses Werk ist mein!

Doch seh ich näher an, was dieser Dichtung

Den innern Wert und ihre Würde gibt,

Erkenn ich wohl, ich hab es nur von euch.

Wenn die Natur der Dichtung holde Gabe

Aus reicher Willkür freundlich mir geschenkt,

So hatte mich das eigensinn’ge Glück

Mit grimmiger Gewalt von sich gestoßen;

Und zog die schöne Welt den Blick des Knaben

Mit ihrer ganzen Fülle herrlich an,

So trübte bald den jugendlichen Sinn

Der teuern Eltern unverdiente Not.

Eröffnete die Lippe sich, zu singen,

So floß ein traurig Lied von ihr herab,

Und ich begleitete mit leisen Tönen

Des Vaters Schmerzen und der Mutter Qual.

Du warst allein, der aus dem engen Leben

Zu einer schönen Freiheit mich erhob,

Der jede Sorge mir vom Haupte nahm,

Mir Freiheit gab, daß meine Seele sich

Zu mutigem Gesang entfalten konnte;

Und welchen Preis nun auch mein Werk erhält,

Euch dank ich ihn, denn euch gehört es zu.

Alfons:

Zum zweitenmal verdienst du jedes Lob

Und ehrst bescheiden dich und uns zugleich.

Tasso:

O könnt ich sagen, wie ich lebhaft fühle,

Daß ich von euch nur habe, was ich bringe!

Der tatenlose Jüngling – nahm er wohl

Die Dichtung aus sich selbst? Die kluge Leitung

Des raschen Krieges – hat er die ersonnen?

Die Kunst der Waffen, die ein jeder Held

An dem beschiednen Tage kräftig zeigt,

Des Feldherrn Klugheit und der Ritter Mut,

Und wie sich List und Wachsamkeit bekämpft,

Hast du mir nicht, o kluger, tapfrer Fürst,

Das alles eingeflößt, als wärest du

Mein Genius, der eine Freude fände,

Sein hohes, unerreichbar hohes Wesen

Durch einen Sterblichen zu offenbaren?

Prinzessin:

Genieße nun des Werks, das uns erfreut!

Alfons:

Erfreue dich des Beifalls jedes Guten!

Leonore:

Des allgemeinen Ruhms erfreue dich!

Tasso:

Mir ist an diesem Augenblick genug.

An euch nur dacht ich, wenn ich sann und schrieb;

Euch zu gefallen war mein höchster Wunsch,

Euch zu ergötzen war mein letzter Zweck.

Wer nicht die Welt in seinen Freunden sieht,

Verdient nicht, daß die Welt von ihm erfahre.

Hier ist mein Vaterland, hier ist der Kreis,

In dem sich meine Seele gern verweilt.

Hier horch ich auf, hier acht ich jeden Wink,

Hier spricht Erfahrung, Wissenschaft, Geschmack;

Ja, Welt und Nachwelt seh ich vor mir stehn.

Die Menge macht den Künstler irr und scheu:

Nur wer euch ähnlich ist, versteht und fühlt,

Nur der allein soll richten und belohnen!

Alfons:

Und stellen wir denn Welt und Nachwelt vor,

So ziemt es nicht, nur müßig zu empfangen.

Das schöne Zeichen, das den Dichter ehrt,

Das selbst der Held, der seiner stets bedarf,

Ihm ohne Neid ums Haupt gewunden sieht,

Erblick ich hier auf deines Ahnherrn Stirne.

Auf die Herme Virgils deutend.

Hat es der Zufall, hat’s ein Genius

Geflochten und gebracht? Es zeigt sich hier

Uns nicht umsonst. Virgilen hör ich sagen:

Was ehret ihr die Toten? Hatten die

Doch ihren Lohn und Freude, da sie lebten;

Und wenn ihr uns bewundert und verehrt,

So gebt auch den Lebendigen ihr Teil.

Mein Marmorbild ist schon bekränzt genug;

Der grüne Zweig gehört dem Leben an.

Alfons winkt seiner Schwester; sie nimmt den Kranz von der Büste Virgils und nähert

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