Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 169)
die Wohlredenheit lernen wollte, war das erste Stück, das mich von den rechten Historien zu den Liebesbüchern, und von den wahrhaften Geschichten zu den Heldengedichten zoge: Solcherlei Gattungen brachte ich zuwegen, wo ich konnte; und wann mir eins zuteil wurde, hörte ich nit auf, bis ichs durchgelesen, und sollte ich Tag und Nacht darüber gesessen sein; diese lerneten mich vor das Wohlreden mit der Leimstangen laufen. Doch wurde dieser Mangel damals bei mir nicht so heftig und stark, daß man ihn mit Seneca ein göttliches Rasen, oder wie es in Thomä Thomai Waldgärtlein beschrieben wird, eine beschwerliche Krankheit hätte nennen können; dann so meine Lieb hinfiel, da erhielte ich leichtlich und ohne sonderbare Mühe, was ich begehrte, also daß ich keine Ursach zu klagen bekam, wie andere Buhler und Leimstängler, die voller phantastischer Gedanken, Mühe, Begierden, heimlich Leiden, Zorn, Eifer, Rachgier, Rasen Weinen, Protzen, Drohen und dergleichen tausendfältigen Torheiten stecken und ihnen vor Ungedult den Tod wünschen; ich hatte Geld und ließ mich dasselbe nit dauren, und überdas ein gute Stimm, übte mich stetig auf allerhand Instrumenten; anstatt des Tanzens, dem ich nie bin hold worden, wiese ich die Gerade meines Leibs, wenn ich mit meinem Kürschner fochte; überdas hatte ich einen trefflich glatten Spiegel und gewöhnte mich zu einer freundlichen Lieblichkeit, also daß mir das Frauenzimmer, wann ich mich dessen schon nicht sonderlich annahme, wie Aurora dem dito, Cephalo und Vitoni, Venus dem Anchise, Atidi und Adoni, Ceres dem Glauco, Ulysse und Jasoni, und die keusche Diana selbst ihrem Endimione, von sich selbst nachlieffe, mehr als ich dessen begehrte. Um dieselbige Zeit fiel Martini ein, da fängt bei uns Teutschen das Fressen und Saufen an und währet bei teils bis in die Faßnacht; da wurde ich an unterschiedliche Ort, sowohl bei Offiziern als Bürgern, die Martinsgans verzehren zu helfen, eingeladen; da setzt es dann zuzeiten so etwas, weil ich bei solchen Gelegenheiten mit dem Frauenzimmer in Kundschaft kame; meine Laute und Gesang, die zwangen ein jede, mich anzuschauen, und wann sie mich also betrachteten, wußte ich zu meinen neuen Buhlenliedern, die ich selber machte, so anmutige Blick und Gebärden hervorzubringen, daß sich manches hübsches Mägdlein darüber vernarrte und mir unversehens hold ward. Und damit ich nit vor einen Hungerleider gehalten würde, stellte ich auch zwo Gastereien, die eine zwar vor die Offizier, und die ander vor die vornehmste Bürger an, dadurch ich mir bei beiden Teilen Gunst und einen Zutritt vermittelte, weil ich kostbar auftragen ließe. Es war mir aber alles nur um die liebe Jungfrauen zu tun, und ob ich gleich bei einer oder der andern nit fande, was ich suchte (dann es gab auch noch etliche, die es verhalten konnten), so gienge ich doch ein Weg als den andern zu ihnen, damit sie diejenige, die mir mehr Gunst erzeigten, als ehrlichen Jungfrauen gebührt, in keinen bösen Verdacht bringen, sondern glauben sollten, daß ich mich bei denselbigen auch nur Diskurs halber aufhielte. Und das überredet ich ein jede insonderheit, daß sie es von den andern glaubte, und nit