Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 171)
mir aus seiner Bibliothek viel Bücher lehnete, und wenn ich ihm eins wieder brachte, so diskurierte er von allerhand Sachen mit mir, dann wir akkommodierten uns so miteinander, daß einer den andern gern leiden mochte: Als nun nicht nur die Martinsgäns und Metzelsuppen hin und wieder, sondern auch die Heilige Weihnachtfeiertäge vorbei waren, verehrte ich ihm eine Flaschen vol Straßburger Branntewein zum Neuen Jahr, welchen er, der Westfälinger Gebrauch nach, mit Kandelzucker gern einläpperte, und kam darauf hin ihn zu besuchen, als er eben in meinem »Joseph« lase, welchen ihm mein Wirt ohne mein Wissen geliehen hatte: Ich entfärbte mich, daß einem solchen gelehrten Mann meine Arbeit in die Hände kommen sollte, sonderlich weil man davorhält, daß einer am besten aus seinen Schriften erkennet werde; er aber machte mich zu ihm sitzen und lobte zwar meine Invention, schalte aber, daß ich mich so lang in der Seliche (die Potiphars Weib gewesen) Liebeshändeln hätte aufgehalten; »wessen das Herz voll ist, gehet der Mund über«, sagte er ferners; »wenn der Herr nicht selbsten wüßte wie einem Buhler ums Herz ist, so hätte Er dieses Weibs Passiones nicht so wohl ausführen oder vor Augen stellen können.« Ich antwortet, was ich geschrieben hätte, das wäre mein eigene Erfindung nicht, sondern hätte es aus andern Büchern extrahiert, mich um etwas im Schreiben zu üben, antwortet er, »das glaube ich gern (scil.), aber Er versichere sich, daß ich mehr von Ihm weiß, als Er sich einbildet!« Ich erschrak, da ich diese Wort hörte, und gedachte: »Hat dirs dann S. Velten gesagt«; und weil er sahe, daß sich meine Farb änderte, fuhr er ferner fort und sagte: »Der Herr ist frisch und jung, Er ist müßig und schön, Er lebt ohne Sorg, und wie ich vernehme, in allem Überfluß; darum bitte und ermahne ich Ihn im Herrn, daß Er bedenken wolle, in was vor einem gefährlichen Stand er sich befindet; Er hüte sich vor dem Tier, das Zöpf hat, will Er anders sein Glück und Heil beobachten; der Herr möchte zwar gedenken: ›was gehts den Pfaffen an, was ich tu und lasse (ich gedachte: Du hasts erraten) oder was hat er mir zu befehlen?‹ Es ist wahr, ich bin ein Seelsorger! Aber, Herr, seid versichert, daß mir Eure, als meines Guttäters, zeitliche Wohlfahrt aus christlicher Lieb so hoch angelegen ist, als ob Ihr mein eigener Sohn wäret; immer schad ists, und Ihr könnts bei Eurem himmlischen Vatter in Ewigkeit nicht verantworten, wenn Ihr Euer Talent, das er Euch verliehen, vergrabt, und Euer edel Ingenium, das ich aus gegenwärtiger Schrift erkenne, verderben lasset; mein getreuer und vätterlicher Rat wäre, Ihr legtet Eure Jugend und Eure Mittel, die Ihr hier so unnützlich verschwendet, zum Studieren an, damit Ihr heut oder morgen beides, Gott und den Menschen und Euch selbst bedient sein könnet, und ließet das Kriegswesen, zu welchem Ihr, wie ich höre, so großen Lust traget, sein wie es ist, ehe Ihr eine Schlappe davontraget und dasjenige Sprüchwort wahr zu sein an Euch befindet, welches heißt: Junge Soldaten, alte