Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 299)
man dir gibt, kein Dienst so man dir erweist, keine liebliche Wort so man dir zuredet, kein Treu so man dir hält, und keine Freundschaft so man dir erzeigt, sondern du betreugst, stürzest, schändest, besudelst, drohest, verzehrest und vergißt jedermann; dannenhero weinet, seufzet, jammert, klaget und verdirbt jedermann, und jedermann nimmt ein End; bei dir siehet und lernet man nichts, als einander hassen bis zum Würgen, reden bis zum Lügen, lieben bis zum Verzweifeln, handlen bis zum Stehlen, bitten bis zum Betrügen und sündigen bis zum Sterben.
Behüt dich Gott Welt, dann dieweil man dir nachgehet, verzehret man die Zeit in Vergessenheit, die Jugend mit Rennen, Laufen und Springen über Zaun und Stiege, über Weg und Steg, über Berg und Tal, durch Wald und Wildnus, über See und Wasser, in Regen und Schnee, in Hitz und Kält, in Wind und Ungewitter; die Mannheit wird verzehrt mit Erz Schneiden und Schmelzen, mit Stein Hauen und Schneiden, Hacken und Zimmern, Pflanzen und Bauen, in Gedanken Dichten und Trachten, in Ratschlägen Ordnen, Sorgen und Klagen, in Kaufen und Verkaufen, Zanken, Hadern, Kriegen, Lügen und Betrügen; das Alter verzehrt man in Jammer und Elend, der Geist wird schwach, der Atem schmeckend, das Angesicht runzlicht, die Länge krumm, und die Augen werden dunkel, die Glieder zittern, die Nase trieft, der Kopf wird kahl, das Gehör verfällt, der Geruch verliert sich, der Geschmack geht hinweg, er seufzet und achzet, ist faul und schwach, und hat in Summa nichts als Mühe und Arbeit bis in Tod.
Adjeu Welt, dann niemand will in dir fromm sein, täglich richtet man die Mörder, vierteilt die Verräter, henket die Dieb, Straßenräuber und Freibeuter, köpft Totschläger, verbrennt Zauberer, straft Meineidige, und verjagt Aufrührer.
Behüt dich Gott Welt, dann deine Diener haben kein andere Arbeit noch Kurzweil, als faulenzen, einander vexieren und ausrichten, den Jungfrauen hofieren, den schönen Frauen aufwarten, mit denselben liebäuglen, mit Würfeln und Karten spielen, mit Kupplern traktieren, mit den Nachbarn kriegen, neue Zeitungen erzählen, neue Fünd erdenken, mit dem Judenspieß rennen, neue Trachten ersinnen, neue List aufbringen, und neue Laster einführen.
Adjeu Welt, dann niemand ist mit dir content oder zufrieden; ist er arm, so will er haben; ist er reich, so will er viel gelten; ist er veracht, so will er hoch steigen; ist er injuriert, so will er sich rächen; ist er in Gnaden, so will er viel gebieten; ist er lasterhaftig, so will er nur bei gutem Mut sein.
Adjeu Welt, dann bei dir ist nichts Beständiges; die hohe Türn werden vom Blitz erschlagen, die Mühlen vom Wasser weggeführt, das Holz wird von den Würmen, das Korn von Mäusen, die Früchten von Raupen, und die Kleider von Schaben gefressen, das Viehe verdirbt vor Alter, und der arme Mensch vor Krankheit: Der eine hat den Grind, der ander den Krebs, der dritte den Wolf, der vierte die Franzosen, der fünfte das Podagram, der sechste die Gicht, der siebende die Wassersucht, der achte den Stein, der neunte das Gries, der zehende die Lungensucht, der eilfte das Fieber, der zwölfte den Aussatz, der dreizehende