Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 11)

Tellheim.

FRANZISKA. Was hätte bei Ihnen nicht auch Beziehung auf ihn?

DAS FRÄULEIN. Freund und Feind sagen, daß er der tapferste Mann von der Welt ist. Aber wer hat ihn von Tapferkeit jemals reden hören? Er hat das rechtschaffenste Herz, aber Rechtschaffenheit und Edelmut sind Worte, die er nie auf die Zunge bringt.

FRANZISKA. Von was für Tugenden spricht er denn?

DAS FRÄULEIN. Er spricht von keiner; denn ihm fehlt keine.

FRANZISKA. Das wollte ich nur hören.

DAS FRÄULEIN. Warte, Franziska, ich besinne mich. Er spricht sehr oft von Ökonomie. Im Vertrauen, Franziska, ich glaube, der Mann ist ein Verschwender.

FRANZISKA. Noch eins, gnädiges Fräulein. Ich habe ihn auch sehr oft der Treue und Beständigkeit gegen Sie erwähnen hören. Wie, wenn der Herr auch ein Flattergeist wäre?

DAS FRÄULEIN. Du Unglückliche! – Aber meinest du das im Ernste, Franziska?

FRANZISKA. Wie lange hat er Ihnen nun schon nicht geschrieben?

DAS FRÄULEIN. Ach! seit dem Frieden hat er mir nur ein einziges Mal geschrieben.

FRANZISKA. Auch ein Seufzer wider den Frieden! Wunderbar! Der Friede sollte nur das Böse wieder gutmachen, das der Krieg gestiftet, und er zerrüttet auch das Gute, was dieser, sein Gegenpart, etwa noch veranlasset hat. Der Friede sollte so eigensinnig nicht sein! – Und wie lange haben wir schon Friede? Die Zeit wird einem gewaltig lang, wenn es so wenig Neuigkeiten gibt. – Umsonst gehen die Posten wieder richtig; niemand schreibt; denn niemand hat was zu schreiben.

DAS FRÄULEIN. »Es ist Friede«, schrieb er mir, »und ich nähere mich der Erfüllung meiner Wünsche.« Aber daß er mir dieses nur einmal, nur ein einziges Mal geschrieben –

FRANZISKA. Daß er uns zwingt, dieser Erfüllung der Wünsche selbst entgegenzueilen: finden wir ihn nur, das soll er uns entgelten! – Wenn indes der Mann doch Wünsche erfüllt hätte, und wir erführen hier –

Das Fräulein (ängstlich und hitzig). Daß er tot wäre?

FRANZISKA. Für Sie, gnädiges Fräulein, in den Armen einer andern. –

DAS FRÄULEIN. Du Quälgeist! Warte, Franziska, er soll dir es gedenken! – Doch schwatze nur; sonst schlafen wir wieder ein. – Sein Regiment ward nach dem Frieden zerrissen. Wer weiß, in welche Verwirrung von Rechnungen und Nachweisungen er dadurch geraten? Wer weiß, zu welchem andern Regimente, in welche entlegne Provinz er versetzt worden? Wer weiß, welche Umstände – Es pocht jemand.

FRANZISKA. Herein!

Zweiter Auftritt

Der Wirt. Die Vorigen.

DER WIRT (den Kopf voransteckend). Ist es erlaubt meine gnädige Herrschaft? –

FRANZISKA. Unser Herr Wirt? – Nur vollends herein.

DER WIRT (mit einer Feder hinter dem Ohre, ein Blatt Papier und ein Schreibezeug in der Hand). Ich komme, gnädiges Fräulein, Ihnen einen untertänigen guten Morgen zu wünschen – (zur Franziska) und auch Ihr, mein schönes Kind –

FRANZISKA. Ein höflicher Mann!

DAS FRÄULEIN. Wir bedanken uns.

FRANZISKA. Und wünschen Ihm auch einen guten Morgen.

DER WIRT. Darf ich mich unterstehen zu fragen, wie Ihro Gnaden diese erste Nacht unter meinem schlechten Dache geruhet? –

FRANZISKA. Das Dach ist so schlecht nicht, Herr Wirt, aber die Betten hätten besser sein können.

DER WIRT. Was höre ich? Nicht wohl geruht? Vielleicht, daß die gar zu große Ermüdung von der Reise –

DAS FRÄULEIN. Es kann sein.

DER WIRT.

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