Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 10)

– Das ist nichts. –

JUST. Oder wenn wir ihm das Haus über dem Kopf ansteckten? –

WERNER. Sengen und brennen? – Kerl, man hört's, daß du Packknecht gewesen bist und nicht Soldat – pfui!

JUST. Oder wenn wir ihm seine Tochter zur Hure machten? Sie ist zwar verdammt häßlich –

WERNER. Oh, da wird sie's lange schon sein! Und allenfalls brauchst du auch hierzu keinen Gehilfen. Aber was hast du denn? Was gibt's denn?

JUST. Komm nur, du sollst dein Wunder hören!

WERNER. So ist der Teufel wohl hier gar los?

JUST. Jawohl; komm nur!

WERNER. Desto besser! Nach Persien also, nach Persien!

Zweiter Aufzug

Erster Auftritt

Die Szene ist in dem Zimmer des Fräuleins.

Minna von Barnhelm. Franziska.

Das Fräulein (im Negligé, nach ihrer Uhr sehend). Franziska, wir sind auch sehr früh aufgestanden. Die Zeit wird uns lang werden.

FRANZISKA. Wer kann denn in den verzweifelten großen Städten schlafen? Die Karossen, die Nachtwächter, die Trommeln, die Katzen, die Korporals – das hört nicht auf zu rasseln, zu schreien, zu wirbeln, zu mauen, zu fluchen; gerade, als ob die Nacht zu nichts weniger wäre als zur Ruhe. – Eine Tasse Tee, gnädiges Fräulein? –

DAS FRÄULEIN. Der Tee schmeckt mir nicht. –

FRANZISKA. Ich will von unserer Schokolade machen lassen.

DAS FRÄULEIN. Laß machen, für dich!

FRANZISKA. Für mich? Ich wollte ebensogern für mich allein plaudern als für mich allein trinken. – Freilich wird uns die Zeit so lang werden. – Wir werden vor langer Weile uns putzen müssen und das Kleid versuchen, in welchem wir den ersten Sturm geben wollen.

DAS FRÄULEIN. Was redest du von Stürmen, da ich bloß herkomme, die Haltung der Kapitulation zu fordern?

FRANZISKA. Und der Herr Offizier, den wir vertrieben und dem wir das Kompliment darüber machen lassen; er muß auch nicht die feinste Lebensart haben; sonst hätte er wohl um die Ehre können bitten lassen, uns seine Aufwartung machen zu dürfen. –

DAS FRÄULEIN. Es sind nicht alle Offiziere Tellheims. Die Wahrheit zu sagen, ich ließ ihm das Kompliment auch bloß machen, um Gelegenheit zu haben, mich nach diesem bei ihm zu erkundigen. – Franziska, mein Herz sagt es mir, daß meine Reise glücklich sein wird, daß ich ihn finden werde. –

FRANZISKA. Das Herz, gnädiges Fräulein? Man traue doch ja seinem Herzen nicht zu viel. Das Herz redet uns gewaltig gern nach dem Maule. Wenn das Maul ebenso geneigt wäre, nach dem Herzen zu reden, so wäre die Mode längst aufgekommen, die Mäuler unterm Schlosse zu tragen.

DAS FRÄULEIN. Ha! ha! Mit deinen Mäulern unterm Schlosse! Die Mode wäre mir eben recht!

FRANZISKA. Lieber die schönsten Zähne nicht gezeigt, als alle Augenblicke das Herz darüber springen lassen!

DAS FRÄULEIN. Was? Bist du so zurückhaltend? –

FRANZISKA. Nein, gnädiges Fräulein, sondern ich wollte es gern mehr sein. Man spricht selten von der Tugend, die man hat; aber desto öftrer von der, die uns fehlt.

DAS FRÄULEIN. Siehst du, Franziska? Da hast du eine sehr gute Anmerkung gemacht. –

FRANZISKA. Gemacht? Macht man das, was einem so einfällt? –

DAS FRÄULEIN. Und weißt du, warum ich eigentlich diese Anmerkung so gut finde? Sie hat viel Beziehung auf meinen

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