Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 12)
Gewiß, gewiß! denn sonst – Indes sollte etwas nicht vollkommen nach Ihro Gnaden Bequemlichkeit gewesen sein, so geruhen Ihro Gnaden nur zu befehlen.
FRANZISKA. Gut, Herr Wirt, gut! Wir sind auch nicht blöde; und am wenigsten muß man im Gasthofe blöde sein. Wir wollen schon sagen, wie wir es gern hätten.
DER WIRT. Hiernächst komme ich zugleich – (indem er die Feder hinter dem Ohr hervorzieht).
FRANZISKA. Nun? –
DER WIRT. Ohne Zweifel kennen Ihro Gnaden schon die weisen Verordnungen unserer Polizei.
DAS FRÄULEIN. Nicht im geringsten, Herr Wirt –
DER WIRT. Wir Wirte sind angewiesen, keinen Fremden, wes Standes und Geschlechts er auch sei, vierundzwanzig Stunden zu behausen, ohne seinen Namen, Heimat, Charakter, hiesige Geschäfte, vermutliche Dauer des Aufenthalts und so weiter gehörigen Orts schriftlich einzureichen.
DAS FRÄULEIN. Sehr wohl.
DER WIRT. Ihro Gnaden werden also sich gefallen lassen – (indem er an einen Tisch tritt und sich fertig macht zu schreiben).
DAS FRÄULEIN. Sehr gern – Ich heiße –
DER WIRT. Einen kleinen Augenblick Geduld! – (Er schreibt.) »Dato, den 22. August a. c. allhier zum Könige von Spanien angelangt« – Nun Dero Namen, gnädiges Fräulein?
DAS FRÄULEIN. Das Fräulein von Barnhelm.
DER WIRT (schreibt). »von Barnhelm« – Kommend? woher gnädiges Fräulein?
DAS FRÄULEIN. Von meinen Gütern aus Sachsen.
DER WIRT (schreibt). »Gütern aus Sachsen« – Aus Sachsen! Ei, ei, aus Sachsen, gnädiges Fräulein? aus Sachsen?
FRANZISKA. Nun? warum nicht? Es ist doch wohl hierzulande keine Sünde, aus Sachsen zu sein?
DER WIRT. Eine Sünde? Behüte! das wäre ja eine ganz neue Sünde! – Aus Sachsen also? Ei, ei! aus Sachsen! Das liebe Sachsen! – Aber wo mir recht ist, gnädiges Fräulein, Sachsen ist nicht klein und hat mehrere – wie soll ich es nennen? – Distrikte, Provinzen. – Unsere Polizei ist sehr exakt, gnädiges Fräulein. –
DAS FRÄULEIN. Ich verstehe: von meinen Gütern aus Thüringen also.
DER WIRT. Aus Thüringen! Ja, das ist besser, gnädiges Fräulein, das ist genauer. – (Schreibt und liest.) »Das Fräulein von Barnhelm, kommend von ihren Gütern aus Thüringen, nebst einer Kammerfrau und zwei Bedienten« –
FRANZISKA. Einer Kammerfrau? das soll ich wohl sein?
DER WIRT. Ja, mein schönes Kind. –
FRANZISKA. Nun, Herr Wirt, so setzen Sie anstatt Kammerfrau Kammerjungfer. – Ich höre, die Polizei ist sehr exakt; es möchte ein Mißverständnis geben, welches mir bei meinem Aufgebote einmal Händel machen könnte. Denn ich bin wirklich noch Jungfer und heiße Franziska; mit dem Geschlechtsnamen Willig; Franziska Willig. Ich bin auch aus Thüringen. Mein Vater war Müller auf einem von den Gütern des gnädigen Fräuleins. Es heißt Klein-Rammsdorf. Die Mühle hat jetzt mein Bruder. Ich kam sehr jung auf den Hof und ward mit dem gnädigen Fräulein erzogen. Wir sind von einem Alter, künftige Lichtmeß einundzwanzig Jahr. Ich habe alles gelernt, was das gnädige Fräulein gelernt hat. Es soll mir lieb sein, wenn mich die Polizei recht kennt.
DER WIRT. Gut, mein schönes Kind, das will ich mir auf weitere Nachfrage merken. – Aber nunmehr, gnädiges Fräulein, Dero Verrichtungen allhier? –
DAS FRÄULEIN. Meine Verrichtungen?
DER WIRT. Suchen Ihro Gnaden etwas bei des Königs Majestät?
DAS FRÄULEIN. O nein!
DER WIRT. Oder bei unsern hohen Justizkollegiis?
DAS FRÄULEIN. Auch nicht.
DER