Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 14)

sein würde. Jetzt liegen alle Wirtshäuser und Gasthöfe von ihnen voll, und ein Wirt hat sich wohl mit ihnen in acht zu nehmen. Ich bin mit diesem noch so ziemlich weggekommen. Hatte er gleich kein Geld mehr, so hatte er doch noch Geldeswert, und zwei, drei Monate hätte ich ihn freilich noch ruhig können sitzen lassen. Doch besser ist besser. – Apropos, gnädiges Fräulein, Sie verstehen sich doch auf Juwelen? –

DAS FRÄULEIN. Nicht sonderlich.

DER WIRT. Was sollten Ihro Gnaden nicht? – Ich muß Ihnen einen Ring zeigen, einen kostbaren Ring. Zwar gnädiges Fräulein haben da auch einen sehr schönen am Finger, und je mehr ich ihn betrachte, je mehr muß ich mich wundern, daß er dem meinigen so ähnlich ist. – Oh! sehen Sie doch, sehen Sie doch! (Indem er ihn aus dem Futteral herausnimmt und dem Fräulein zureicht.) Welch ein Feuer! der mittelste Brillant allein wiegt über fünf Karat.

Das Fräulein (ihn betrachtend). Wo bin ich? Was seh ich? Dieser Ring –

DER WIRT. Ist seine funfzehnhundert Taler unter Brüdern wert.

DAS FRÄULEIN. Franziska! – Sieh doch! –

DER WIRT. Ich habe mich auch nicht einen Augenblick bedacht, achtzig Pistolen darauf zu leihen.

DAS FRÄULEIN. Erkennst du ihn nicht Franziska?

FRANZISKA. Der nämliche! – Herr Wirt, wo haben Sie diesen Ring her? –

DER WIRT. Nun, mein Kind? Sie hat doch wohl kein Recht daran?

FRANZISKA. Wir kein Recht an diesem Ringe? – Inwärts auf dem Kasten muß des Fräuleins verzogener Name stehn. – Weisen Sie doch, Fräulein.

DAS FRÄULEIN. Er ist's, er ist's! – Wie kommen Sie zu diesem Ringe, Herr Wirt?

DER WIRT. Ich? auf die ehrlichste Weise von der Welt. – Gnädiges Fräulein, gnädiges Fräulein, Sie werden mich nicht in Schaden und Unglück bringen wollen? Was weiß ich, wo sich der Ring eigentlich herschreibt? Während des Krieges hat manches seinen Herrn sehr oft, mit und ohne Vorbewußt des Herrn, verändert. Und Krieg war Krieg. Es werden mehr Ringe aus Sachsen über die Grenze gegangen sein. – Geben Sie mir ihn wieder, gnädiges Fräulein, geben Sie mir ihn wieder!

FRANZISKA. Erst geantwortet: von wem haben Sie ihn?

DER WIRT. Von einem Manne, dem ich so was nicht zutrauen kann, von einem sonst guten Manne –

DAS FRÄULEIN. Von dem besten Manne unter der Sonne, wenn Sie ihn von seinem Eigentümer haben. – Geschwind, bringen Sie mir den Mann! Er ist es selbst, oder wenigstens muß er ihn kennen.

DER WIRT. Wer denn? wen denn, gnädiges Fräulein?

FRANZISKA. Hören Sie denn nicht? unsern Major.

DER WIRT. Major? Recht, er ist Major, der dieses Zimmer vor Ihnen bewohnt hat und von dem ich ihn habe.

DAS FRÄULEIN. Major von Tellheim.

DER WIRT. Von Tellheim, ja! Kennen Sie ihn?

DAS FRÄULEIN. Ob ich ihn kenne? Er ist hier? Tellheim ist hier? Er? er hat in diesem Zimmer gewohnt? Er, er hat Ihnen diesen Ring versetzt? Wie kommt der Mann in diese Verlegenheit? Wo ist er? Er ist Ihnen schuldig? – – Franziska, die Schatulle her! Schließ auf! (Indem sie Franziska auf den Tisch setzet und öffnet.) Was ist er Ihnen schuldig? Wem ist er mehr schuldig? Bringen Sie mir

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