Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 15)

alle seine Schuldner. Hier ist Geld. Hier sind Wechsel. Alles ist sein!

DER WIRT. Was höre ich?

DAS FRÄULEIN. Wo ist er? wo ist er?

DER WIRT. Noch vor einer Stunde war er hier.

DAS FRÄULEIN. Häßlicher Mann, wie konnten Sie gegen ihn so unfreundlich, so hart, so grausam sein?

DER WIRT. Ihro Gnaden verzeihen –

DAS FRÄULEIN. Geschwind, schaffen Sie mir ihn zur Stelle.

DER WIRT. Sein Bedienter ist vielleicht noch hier. Wollen Ihro Gnaden, daß er ihn aufsuchen soll?

DAS FRÄULEIN. Ob ich will? Eilen Sie, laufen Sie; für diesen Dienst allein will ich es vergessen, wie schlecht Sie mit ihm umgegangen sind. –

FRANZISKA. Fix, Herr Wirt, hurtig, fort, fort! (Stößt ihn heraus.)

Dritter Auftritt

Das Fräulein. Franziska.

DAS FRÄULEIN. Nun habe ich ihn wieder Franziska! Siehst du, nun habe ich ihn wieder! Ich weiß nicht, wo ich vor Freuden bin! Freue dich doch mit, liebe Franziska. Aber freilich, warum du? Doch du sollst dich, du mußt dich mit mir freuen. Komm Liebe, ich will dich beschenken, damit du dich mit mir freuen kannst. Sprich, Franziska, was soll ich dir geben? Was steht dir von meinen Sachen an? Was hättest du gern? Nimm, was du willst, aber freue dich nur. Ich sehe wohl, du wirst dir nichts nehmen. Warte! (sie faßt in die Schatulle) da, liebe Franziska (und gibt ihr Geld), kaufe dir, was du gern hättest. Fordere mehr, wenn es nicht zulangt. Aber freue dich nur mit mir. Es ist so traurig, sich allein zu freuen. Nun, so nimm doch –

FRANZISKA. Ich stehle es Ihnen, Fräulein; Sie sind trunken, von Fröhlichkeit trunken. –

DAS FRÄULEIN. Mädchen, ich habe einen zänkischen Rausch, nimm oder – (Sie zwingt ihr das Geld in die Hand.) Und wenn du dich bedankest! – Warte; gut, daß ich daran denke. (Sie greift nochmals in die Schatulle nach Geld.) Das, liebe Franziska, stecke beiseite, für den ersten blessierten armen Soldaten, der uns anspricht. –

Vierter Auftritt

Der Wirt. Das Fräulein. Franziska.

DAS FRÄULEIN. Nun? Wird er kommen?

DER WIRT. Der widerwärtige, ungeschliffene Kerl!

DAS FRÄULEIN. Wer?

DER WIRT. Sein Bedienter. Er weigert sich, nach ihm zu gehen.

FRANZISKA. Bringen Sie doch den Schurken her. – Des Majors Bediente kenne ich ja wohl alle. Welcher wäre denn das?

DAS FRÄULEIN. Bringen Sie ihn geschwind her. Wenn er uns sieht, wird er schon gehen.

(Der Wirt geht ab.)

Fünfter Auftritt

Das Fräulein. Franziska.

DAS FRÄULEIN. Ich kann den Augenblick nicht erwarten. Aber, Franziska, du bist noch immer so kalt? Du willst dich noch nicht mit mir freuen?

FRANZISKA. Ich wollte von Herzen gern, wenn nur –

DAS FRÄULEIN. Wenn nur?

FRANZISKA. Wir haben den Mann wiedergefunden; aber wie haben wir ihn wiedergefunden? Nach allem, was wir von ihm hören, muß es ihm übel gehn. Er muß unglücklich sein. Das jammert mich.

DAS FRÄULEIN. Jammert dich? – Laß dich dafür umarmen, meine liebste Gespielin! Das will ich dir nie vergessen! – Ich bin nur verliebt, und du bist gut. –

Sechster Auftritt

Der Wirt. Just. Die Vorigen.

DER WIRT. Mit genauer Not bring ich ihn.

FRANZISKA. Ein fremdes Gesicht! Ich kenne ihn nicht.

DAS FRÄULEIN. Mein Freund, ist Er bei dem

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