Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 13)

WIRT. Oder –

DAS FRÄULEIN. Nein, nein. Ich bin lediglich in meinen eigenen Angelegenheiten hier.

DER WIRT. Ganz wohl, gnädiges Fräulein, aber wie nennen sich diese eigne Angelegenheiten?

DAS FRÄULEIN. Sie nennen sich – Franziska, ich glaube, wir werden vernommen.

FRANZISKA. Herr Wirt, die Polizei wird doch nicht die Geheimnisse eines Frauenzimmers zu wissen verlangen?

DER WIRT. Allerdings, mein schönes Kind: die Polizei will alles, alles wissen; und besonders Geheimnisse.

FRANZISKA. Ja nun, gnädiges Fräulein; was ist zu tun? – So hören Sie nur, Herr Wirt – aber daß es ja unter uns und der Polizei bleibt! –

DAS FRÄULEIN. Was wird ihm die Närrin sagen?

FRANZISKA. Wir kommen, dem Könige einen Offizier wegzukapern –

DER WIRT. Wie? was? Mein Kind! mein Kind! –

FRANZISKA. Oder uns von dem Offiziere kapern zu lassen. Beides ist eins.

DAS FRÄULEIN. Franziska, bist du toll? – Herr Wirt, die Nasenweise hat Sie zum besten. –

DER WIRT. Ich will nicht hoffen! Zwar mit meiner Wenigkeit kann sie scherzen so viel, wie sie will; nur mit einer hohen Polizei –

DAS FRÄULEIN. Wissen Sie was, Herr Wirt? – Ich weiß mich in dieser Sache nicht zu nehmen. Ich dächte, Sie ließen die ganze Schreiberei bis auf die Ankunft meines Oheims. Ich habe Ihnen schon gestern gesagt, warum er nicht mit mir zugleich angekommen. Er verunglückte zwei Meilen von hier mit seinem Wagen und wollte durchaus nicht, daß mich dieser Zufall eine Nacht mehr kosten sollte. Ich mußte also voran. Wenn er vierundzwanzig Stunden nach mir eintrifft, so ist es das längste.

DER WIRT. Nun ja, gnädiges Fräulein, so wollen wir ihn erwarten.

DAS FRÄULEIN. Er wird auf Ihre Fragen besser antworten können. Er wird wissen, wem und wie weit er sich zu entdecken hat; was er von seinen Geschäften anzeigen muß und was er davon verschweigen darf.

DER WIRT. Desto besser! Freilich, freilich kann man von einem jungen Mädchen (die Franziska mit einer bedeutenden Miene ansehend) nicht verlangen, daß es eine ernsthafte Sache mit ernsthaften Leuten ernsthaft traktiere –

DAS FRÄULEIN. Und die Zimmer für ihn sind doch in Bereitschaft, Herr Wirt?

DER WIRT. Völlig, gnädiges Fräulein, völlig; bis auf das eine –

FRANZISKA. Aus dem Sie vielleicht auch noch erst einen ehrlichen Mann vertreiben müssen?

DER WIRT. Die Kammerjungfern aus Sachsen, gnädiges Fräulein, sind wohl sehr mitleidig. –

DAS FRÄULEIN. Doch, Herr Wirt, das haben Sie nicht gut gemacht. Lieber hätten Sie uns nicht einnehmen sollen.

DER WIRT. Wieso, gnädiges Fräulein, wieso?

DAS FRÄULEIN. Ich höre, daß der Offizier, welcher durch uns verdrängt worden –

DER WIRT. Ja nur ein abgedankter Offizier ist, gnädiges Fräulein. –

DAS FRÄULEIN. Wenn schon! –

DER WIRT. Mit dem es zu Ende geht. –

DAS FRÄULEIN. Desto schlimmer! Es soll ein sehr verdienter Mann sein.

DER WIRT. Ich sage Ihnen ja, daß er abgedankt ist.

DAS FRÄULEIN. Der König kann nicht alle verdiente Männer kennen.

DER WIRT. O gewiß, er kennt sie, er kennt sie alle. –

DAS FRÄULEIN. So kann er sie nicht alle belohnen.

DER WIRT. Sie wären alle belohnt, wenn sie darnach gelebt hätten. Aber so lebten die Herren während des Krieges, als ob ewig Krieg bleiben würde; als ob das Dein und Mein ewig aufgehoben

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