Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 21)

Schleifwege kennt. Und schießen kann er!

FRANZISKA. Gut, daß der Major nur noch den braven Kutscher hat!

JUST. Hat er ihn noch?

FRANZISKA. Ich denke, Er sagte, Martin wäre weggeritten? So wird er doch wohl wiederkommen?

JUST. Meint Sie?

FRANZISKA. Wo ist er denn hingeritten?

JUST. Es geht nun in die zehnte Woche, da ritt er mit des Herrn einzigem und letztem Reitpferde – nach der Schwemme.

FRANZISKA. Und ist noch nicht wieder da? Oh, der Galgenstrick!

JUST. Die Schwemme kann den braven Kutscher auch wohl verschwemmt haben! – Es war gar ein rechter Kutscher! Er hatte in Wien zehn Jahre gefahren. So einen kriegt der Herr gar nicht wieder. Wenn die Pferde im vollen Rennen waren, so durfte er nur machen: »Burr!« und auf einmal standen sie wie die Mauern. Dabei war er ein ausgelernter Roßarzt!

FRANZISKA. Nun ist mir für das Avancement des Läufers bange.

JUST. Nein, nein, damit hat's seine Richtigkeit. Er ist Trommelschläger bei einem Garnisonregimente geworden.

FRANZISKA. Dacht ich's doch!

JUST. Fritz hing sich an ein liederliches Mensch, kam des Nachts niemals nach Hause, machte auf des Herrn Namen überall Schulden und tausend infame Streiche. Kurz, der Major sahe, daß er mit aller Gewalt höher wollte: (das Hängen pantomimisch anzeigend) er brachte ihn also auf guten Weg.

FRANZISKA. Oh, der Bube!

JUST. Aber ein perfekter Läufer ist er, das ist gewiß. Wenn ihm der Herr funfzig Schritte vorgab, so konnte er ihn mit seinem besten Renner nicht einholen. Fritz hingegen kann dem Galgen tausend Schritte vorgeben und, ich wette mein Leben, er holt ihn ein. – Es waren wohl alles Ihre guten Freunde, Jungfer? Der Wilhelm und der Philipp, der Martin und der Fritz? – Nun, Just empfiehlt sich! (Geht ab.)

Dritter Auftritt

Franziska und hernach der Wirt.

Franziska (die ihm ernsthaft nachsieht). Ich verdiene den Biß! – Ich bedanke mich, Just. Ich setzte die Ehrlichkeit zu tief herab. Ich will die Lehre nicht vergessen. – Ah! der unglückliche Mann! (Kehrt sich um und will nach dem Zimmer des Fräuleins gehen, indem der Wirt kömmt.)

DER WIRT. Warte Sie doch, mein schönes Kind.

FRANZISKA. Ich habe jetzt nicht Zeit, Herr Wirt –

DER WIRT. Nur ein kleines Augenblickchen! – Noch keine Nachricht weiter von dem Herrn Major? Das konnte doch unmöglich sein Abschied sein! –

FRANZISKA. Was denn?

DER WIRT. Hat es Ihr das gnädige Fräulein nicht erzählt? – Als ich Sie, mein schönes Kind, unten in der Küche verließ, so kam ich von ungefähr wieder hier in den Saal –

FRANZISKA. Von ungefähr, in der Absicht, ein wenig zu horchen.

DER WIRT. Ei, mein Kind, wie kann Sie das von mir denken? Einem Wirte läßt nichts übler als Neugierde. – Ich war nicht lange hier, so prellte auf einmal die Türe bei dem gnädigen Fräulein auf. Der Major stürzte heraus, das Fräulein ihm nach, beide in einer Bewegung, mit Blicken, in einer Stellung – so was läßt sich nur sehen. Sie ergriff ihn, er riß sich los, sie ergriff ihn wieder. »Tellheim!« – »Fräulein, lassen Sie mich!« – »Wohin?« – So zog er sie bis an die Treppe. Mir war schon bange, er würde sie mit

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