Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 20)

– Die Jungfer soll also so gut sein – läßt mein Herr bitten – und ihm sagen lassen, ob er nicht das Vergnügen haben könnte, die Jungfer auf ein Viertelstündchen; zu sprechen.

FRANZISKA. Mich?

JUST. Verzeih Sie mir, wenn ich Ihr einen unrechten Titel gebe. – Ja, Sie! – Nur auf ein Viertelstündchen; aber allein, ganz allein, insgeheim, unter vier Augen. Er hätte Ihr was sehr Notwendiges zu sagen.

FRANZISKA. Gut! ich habe ihm auch viel zu sagen. – Er kann nur kommen, ich werde zu seinem Befehle sein.

JUST. Aber, wenn kann er kommen? Wenn ist es Ihr am gelegensten, Jungfer? So in der Dämmerung? –

FRANZISKA. Wie meint Er das? – Sein Herr kann kommen, wenn er will – und damit packe Er sich nur!

JUST. Herzlich gern! (Will fortgehen.)

FRANZISKA. Hör Er doch; noch auf ein Wort. – Wo sind denn die andern Bedienten des Majors?

JUST. Die andern? Dahin, dorthin, überallhin.

FRANZISKA. Wo ist Wilhelm?

JUST. Der Kammerdiener? den läßt der Major reisen.

FRANZISKA. So? Und Philipp, wo ist der?

JUST. Der Jäger? den hat der Herr aufzuheben gegeben.

FRANZISKA. Weil er jetzt keine Jagd hat, ohne Zweifel. – Aber Martin?

JUST. Der Kutscher? der ist weggeritten.

FRANZISKA. Und Fritz?

JUST. Der Läufer? der ist avanciert.

FRANZISKA. Wo war Er denn, als der Major bei uns in Thüringen im Winterquartiere stand? Er war wohl noch nicht bei ihm?

JUST. O ja, ich war Reitknecht bei ihm, aber ich lag im Lazarett.

FRANZISKA. Reitknecht? Und jetzt ist Er?

JUST. Alles in allem; Kammerdiener und Jäger, Läufer und Reitknecht.

FRANZISKA. Das muß ich gestehen! So viele gute, tüchtige Leute von sich zu lassen und gerade den Allerschlechtesten zu behalten! Ich möchte doch wissen, was Sein Herr an Ihm fände!

JUST. Vielleicht findet er, daß ich ein ehrlicher Kerl bin.

FRANZISKA. Oh, man ist auch verzweifelt wenig, wenn man weiter nichts ist als ehrlich. – Wilhelm war ein andrer Mensch – Reisen läßt ihn der Herr?

JUST. Ja, er läßt ihn – da er's nicht hindern kann.

FRANZISKA. Wie?

JUST. Oh, Wilhelm wird sich alle Ehre auf seinen Reisen machen. Er hat des Herrn ganze Garderobe mit.

FRANZISKA. Was? Er ist doch nicht damit durchgegangen?

JUST. Das kann man nun eben nicht sagen; sondern als wir von Nürnberg weggingen, ist er uns nur nicht damit nachgekommen.

FRANZISKA. Oh, der Spitzbube!

JUST. Es war ein ganzer Mensch! Er konnte frisieren und rasieren und parlieren – und scharmieren – Nicht wahr?

FRANZISKA. Sonach hätte ich den Jäger nicht von mir getan, wenn ich wie der Major gewesen wäre. Konnte er ihn schon nicht als Jäger nützen, so war es doch sonst ein tüchtiger Bursche. – Wem hat er ihn denn aufzuheben gegeben?

JUST. Dem Kommandanten von Spandau.

FRANZISKA. Der Festung? Die Jagd auf den Wällen kann doch da auch nicht groß sein.

JUST. Oh, Philipp jagt auch da nicht.

FRANZISKA. Was tut er denn?

JUST. Er karrt.

FRANZISKA. Er karrt?

Just. Aber nur auf drei Jahr. Er machte ein kleines Komplott unter des Herrn Kompanie und wollte sechs Mann durch die Vorposten bringen. –

FRANZISKA. Ich erstaune, der Bösewicht!

JUST. Oh, es ist ein tüchtiger Kerl! Ein Jäger, der funfzig Meilen in der Runde durch Wälder und Moräste alle Fußsteige, alle

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