Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 18)

habe, was liegt daran, ob mich Gleichgültigkeit oder mächtigere Reize darum gebracht? – Sie lieben mich nicht mehr: und lieben auch keine andere? – Unglücklicher Mann, wenn Sie gar nichts lieben! –

V. TELLHEIM. Recht, gnädiges Fräulein; der Unglückliche muß gar nichts lieben. Er verdient sein Unglück, wenn er diesen Sieg nicht über sich selbst zu erhalten weiß; wenn er es sich gefallen lassen kann, daß die, welche er liebt, an seinem Unglück Anteil nehmen dürfen. – Wie schwer ist dieser Sieg! – Seitdem mir Vernunft und Notwendigkeit befehlen, Minna von Barnhelm zu vergessen: was für Mühe habe ich angewandt! Eben wollte ich anfangen zu hoffen, daß diese Mühe nicht ewig vergebens sein würde: – und Sie erscheinen, mein Fräulein! –

DAS FRÄULEIN. Versteh ich Sie recht? – Halten Sie mein Herr, lassen Sie sehen, wo wir sind, ehe wir uns weiter verirren! – Wollen Sie mir die einzige Frage beantworten?

V. TELLHEIM. Jede, mein Fräulein –

DAS FRÄULEIN. Wollen Sie mir auch ohne Wendung, ohne Winkelzug antworten? Mit nichts als einem trockenen Ja oder Nein?

v. Tellheim. Ich will es – wenn ich kann.

DAS FRÄULEIN. Sie können es. – Gut: ohngeachtet der Mühe, die Sie angewendet, mich zu vergessen – lieben Sie mich noch, Tellheim?

V. TELLHEIM. Mein Fräulein, diese Frage –

DAS FRÄULEIN. Sie haben versprochen, mit nichts als Ja oder Nein zu antworten.

V. TELLHEIM. Und hinzugesetzt: wenn ich kann.

DAS FRÄULEIN. Sie können; Sie müssen wissen, was in Ihrem Herzen vorgeht. – Lieben Sie mich noch, Tellheim? – Ja oder Nein.

V. TELLHEIM. Wenn mein Herz –

DAS FRÄULEIN. Ja oder Nein!

V. TELLHEIM. Nun, Ja!

DAS FRÄULEIN. Ja?

V. TELLHEIM. Ja, ja! – Allein –

DAS FRÄULEIN. Geduld! – Sie lieben mich noch: genug für mich. – In was für einen Ton bin ich mit Ihnen gefallen! Ein widriger, melancholischer, ansteckender Ton. – Ich nehme den meinigen wieder an. – Nun, mein lieber Unglücklicher, Sie lieben mich noch und haben Ihre Minna noch und sind unglücklich? Hören Sie doch, was Ihre Minna für ein eingebildetes, albernes Ding war – ist. Sie ließ, sie läßt sich träumen, Ihr ganzes Glück sei sie. – Geschwind, kramen Sie lhr Unglück aus. Sie mag versuchen, wieviel sie dessen aufwiegt. – Nun?

V. TELLHEIM. Mein Fräulein, ich bin nicht gewohnt zu klagen.

DAS FRÄULEIN. Sehr wohl. Ich wüßte auch nicht, was mir an einem Soldaten, nach dem Prahlen, weniger gefiele als das Klagen. Aber es gibt eine gewisse kalte, nachlässige Art, von seiner Tapferkeit und von seinem Unglücke zu sprechen –

V. TELLHEIM. Die im Grunde doch auch geprahlt und geklagt ist.

DAS FRÄULEIN. Oh, mein Rechthaber, so hätten Sie sich auch gar nicht unglücklich nennen sollen. – Ganz geschwiegen oder ganz mit der Sprache heraus. – Eine Vernunft, eine Notwendigkeit, die Ihnen mich zu vergessen befiehlt? – Ich bin eine große Liebhaberin von Vernunft, ich habe sehr viel Ehrerbietung für die Notwendigkeit. – Aber lassen Sie doch hören, wie vernünftig diese Vernunft, wie notwendig diese Notwendigkeit ist.

V. TELLHEIM. Wohl denn; so hören Sie, mein Fräulein. – Sie nennen mich Tellheim; der Name trifft ein. – Aber Sie meinen,

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