Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 29)

miteinander unterhalten können, sobald sie wollen.

V. TELLHEIM. Welcher Vorwand! Sie muß ihn lesen. Er enthält meine Rechtfertigung – alle die Gründe und Ursachen –

FRANZISKA. Die will das Fräulein von Ihnen selbst hören, nicht lesen.

V. TELLHEIM. Von mir selbst hören? Damit mich jedes Wort, jede Miene von ihr verwirre; damit ich in jedem ihrer Blicke die ganze Größe meines Verlusts empfinde? –

FRANZISKA. Ohne Barmherzigkeit! – Nehmen Sie! (Sie gibt ihm den Brief.) Sie erwartet Sie um drei Uhr. Sie will ausfahren und die Stadt besehen. Sie sollen mit ihr fahren.

V. TELLHEIM. Mit ihr fahren?

FRANZISKA. Und was geben Sie mir, so laß ich Sie beide ganz allein fahren? Ich will zu Hause bleiben.

V. TELLHEIM. Ganz allein?

FRANZISKA. In einem schönen verschloßnen Wagen.

V. TELLHEIM. Unmöglich!

FRANZISKA. Ja, ja; im Wagen muß der Herr Major Katz aushalten; da kann er uns nicht entwischen. Darum geschieht es eben. – Kurz, Sie kommen, Herr Major; und Punkte drei. – Nun? Sie wollten mich ja auch allein sprechen. Was haben Sie mir denn zu sagen? – Ja so, wir sind nicht allein. (Indem Sie Wernern ansieht.)

V. TELLHEIM. Doch Franziska, wir wären allein. Aber da das Fräulein den Brief nicht gelesen hat, so habe ich dir noch nichts zu sagen.

FRANZISKA. So? wären wir doch allein? Sie haben vor dem Herrn Wachtmeister keine Geheimnisse?

V. TELLHEIM. Nein, keine.

FRANZISKA. Gleichwohl, dünkt mich, sollten Sie welche vor ihm haben.

V. TELLHEIM. Wie das?

WERNER. Warum das, Frauenzimmerchen?

FRANZISKA. Besonders Geheimnisse von einer gewissen Art. – Alle zwanzig, Herr Wachtmeister? (Indem sie beide Hände mit gespreizten Fingern in die Höhe hält.)

WERNER. St! st! Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen!

V. TELLHEIM. Was heißt das?

FRANZISKA. Husch ist's am Finger, Herr Wachtmeister? (Als ob sie einen Ring geschwind ansteckte.)

V. TELLHEIM. Was habt ihr?

WERNER. Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, Sie wird ja wohl Spaß verstehn?

V. TELLHEIM. Werner, du hast doch nicht vergessen, was ich dir mehrmal gesagt habe, daß man über einen gewissen Punkt mit dem Frauenzimmer nie scherzen muß?

WERNER. Bei meiner armen Seele, ich kann's vergessen haben! – Frauenzimmerchen, ich bitte –

FRANZISKA. Nun, wenn es Spaß gewesen ist; dasmal will ich es Ihm verzeihen.

V. TELLHEIM. Wenn ich denn durchaus kommen muß, Franziska: so mache doch nur, daß das Fräulein den Brief vorher noch lieset. Das wird mir die Peinigung ersparen, Dinge noch einmal zu denken, noch einmal zu sagen, die ich so gern vergessen möchte. Da, gib ihr ihn! (Indem er den Brief umkehrt und ihr ihn zureichen will, wird er gewahr, daß er erbrochen ist.) Aber sehe ich recht? Der Brief, Franziska, ist ja erbrochen.

FRANZISKA. Das kann wohl sein. (Besieht ihn.) Wahrhaftig, er ist erbrochen. Wer muß ihn denn erbrochen haben? Doch gelesen haben wir ihn wirklich nicht, Herr Major, wirklich nicht. Wir wollen ihn auch nicht lesen, denn der Schreiber kömmt selbst. Kommen Sie ja; und wissen Sie was, Herr Major? Kommen Sie nicht so, wie Sie da sind, in Stiefeln, kaum frisiert. Sie sind zu entschuldigen, Sie haben uns nicht vermutet. Kommen Sie in Schuhen, und lassen Sie sich frisch frisieren. – So sehen Sie mir gar zu brav, gar zu preußisch aus!

V. TELLHEIM. Ich

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