Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 31)

ein Bedienter abräumt.

FRANZISKA. Sie können unmöglich satt sein, gnädiges Fräulein.

DAS FRÄULEIN. Meinst du, Franziska? Vielleicht, daß ich mich nicht hungrig niedersetzte.

FRANZISKA. Wir hatten ausgemacht, seiner während der Mahlzeit nicht zu erwähnen. Aber wir hätten uns auch vornehmen sollen, an ihn nicht zu denken.

DAS FRÄULEIN. Wirklich, ich habe an nichts als an ihn gedacht.

FRANZISKA. Das merkte ich wohl. Ich fing von hundert Dingen an zu sprechen, und Sie antworteten mir auf jedes verkehrt. (Ein andrer Bedienter trägt Kaffee auf.) Hier kömmt eine Nahrung, bei der man eher Grillen machen kann. Der liebe melancholische Kaffee!

DAS FRÄULEIN. Grillen? Ich mache keine. Ich denke bloß der Lektion nach, die ich ihm geben will. Hast du mich recht begriffen, Franziska?

FRANZISKA. O ja; am besten aber wäre es, er ersparte sie uns.

DAS FRÄULEIN. Du wirst sehen, daß ich ihn von Grund aus kenne. Der Mann, der mich jetzt mit allen Reichtümern verweigert, wird mich der ganzen Welt streitig machen, sobald er hört, daß ich unglücklich und verlassen bin.

Franziska (sehr ernsthaft). Und so was muß die feinste Eigenliebe unendlich kitzeln.

DAS FRÄULEIN. Sittenrichterin! Seht doch! Vorhin ertappte sie mich auf Eitelkeit, jetzt auf Eigenliebe. – Nun, laß mich nur, liebe Franziska. Du sollst mit deinem Wachtmeister auch machen können, was du willst.

FRANZISKA. Mit meinem Wachtmeister?

DAS FRÄULEIN. Ja, wenn du es vollends leugnest, so ist es richtig. – Ich habe ihn noch nicht gesehen, aber aus jedem Worte, das du mir von ihm gesagt hast, prophezeie ich dir deinen Mann.

Zweiter Auftritt

Riccaut de la Marlinière. Das Fräulein. Franziska.

Riccaut (noch innerhalb der Szene). Est-il permis, Monsieur le Major?

FRANZISKA. Was ist das? Will das zu uns? (Gegen die Türe gehend.)

RICCAUT. Parbleu! Ik bin unriktig. – Mais non – Ik bin nit unriktig – C'est sa chambre –

FRANZISKA. Ganz gewiß, gnädiges Fräulein, glaubt dieser Herr, den Major von Tellheim noch hier zu finden.

RICCAUT. Iß so! – Le Major de Tellheim; juste, ma belle enfant, c'est lui que je cherche. Où est-il?

FRANZISKA. Er wohnt nicht mehr hier.

RICCAUT. Comment? nok vor vier un swansik Stund hier logier? Und logier nit mehr hier? Wo logier er denn?

Das Fräulein (die auf ihn zukömmt). Mein Herr –

RICCAUT. Ah, Madame – Mademoiselle – Ihro Gnad verzeih –

DAS FRÄULEIN. Mein Herr, Ihre Irrung ist sehr zu vergeben und Ihre Verwunderung sehr natürlich. Der Herr Major hat die Güte gehabt, mir als einer Fremden, die nicht unterzukommen wußte, sein Zimmer zu überlassen.

Riccaut. Ah, voilà de ses politesses! C'est un très galant-homme que ce Major!

DAS FRÄULEIN. Wo er indes hingezogen – wahrhaftig, ich muß mich schämen, es nicht zu wissen.

RICCAUT. Ihro Gnad nit wiß? C'est dommage; j'en suis fâché.

DAS FRÄULEIN. Ich hätte mich allerdings darnach erkundigen sollen. Freilich werden ihn seine Freunde noch hier suchen.

RICCAUT. Ik bin sehr von seine Freund, Ihro Gnad –

DAS FRÄULEIN. Franziska, weißt du es nicht?

FRANZISKA. Nein, gnädiges Fräulein.

RICCAUT. Ik hätt ihn zu sprek sehr notwendik. Ik komm ihm bringen eine Nouvelle, davon er sehr frölik sein wird.

DAS FRÄULEIN. Ich bedauere um so viel mehr. – Doch hoffe ich, vielleicht bald ihn zu sprechen. Ist es

Seiten