Ungekürztes Werk "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 5)

mich der Schmerz über den Verlust meines Mannes warf. Ich muß Ihnen früh beschwerlich fallen, Herr Major. Ich reise auf das Land, wo mir eine gutherzige, aber eben auch nicht glückliche Freundin eine Zuflucht vors erste angeboten. –

V. TELLHEIM (zu Just). Geh, laß uns allein. –

Sechster Auftritt

Die Dame. v. Tellheim.

V. TELLHEIM. Reden Sie frei, gnädige Frau! Vor mir dürfen Sie sich Ihres Unglücks nicht schämen. Kann ich Ihnen worin dienen?

DIE DAME. Mein Herr Major –

V. TELLHEIM. Ich beklage Sie, gnädige Frau! Worin kann ich Ihnen dienen? Sie wissen, Ihr Gemahl war mein Freund; mein Freund, sage ich; ich war immer karg mit diesem Titel.

DIE DAME. Wer weiß es besser als ich, wie wert Sie seiner Freundschaft waren, wie wert er der Ihrigen war? Sie würden sein letzter Gedanke, Ihr Name der letzte Ton seiner sterbenden Lippen gewesen sein, hätte nicht die stärkere Natur dieses traurige Vorrecht für seinen unglücklichen Sohn, für seine unglückliche Gattin gefordert –

V. TELLHEIM. Hören Sie auf, Madame! Weinen wollte ich mit Ihnen gern, aber ich habe heute keine Tränen. Verschonen Sie mich! Sie finden mich in einer Stunde, wo ich leicht zu verleiten wäre, wider die Vorsicht zu murren. – O mein rechtschaffner Marloff! Geschwind, gnädige Frau, was haben Sie zu befehlen? Wenn ich Ihnen zu dienen imstande bin, wenn ich es bin –

DIE DAME. Ich darf nicht abreisen, ohne seinen letzten Willen zu vollziehen. Er erinnerte sich kurz vor seinem Ende, daß er als Ihr Schuldner sterbe, und beschwor mich, diese Schuld mit der ersten Barschaft zu tilgen. Ich habe seine Equipage verkauft und komme, seine Handschrift einzulösen. –

V. TELLHEIM. Wie, gnädige Frau? darum kommen Sie?

DIE DAME. Darum. Erlauben Sie, daß ich das Geld aufzähle.

V. TELLHEIM. Nicht doch, Madame! Marloff mir schuldig? das kann schwerlich sein. Lassen Sie doch sehen. (Er ziehet sein Taschenbuch heraus und sucht.) Ich finde nichts.

DIE DAME. Sie werden seine Handschrift verlegt haben, und die Handschrift tut nichts zur Sache. – Erlauben Sie –

V. TELLHEIM. Nein, Madame! so etwas pflege ich nicht zu verlegen. Wenn ich sie nicht habe, so ist es ein Beweis, daß ich nie eine gehabt habe, oder daß sie getilgt und von mir schon zurückgegeben worden.

DIE DAME. Herr Major! –

V. TELLHEIM. Ganz gewiß, gnädige Frau. Nein, Marloff ist mir nichts schuldig geblieben. Ich wüßte mich auch nicht zu erinnern, daß er mir jemals etwas schuldig gewesen wäre. Nicht anders, Madame; er hat mich vielmehr als seinen Schuldner hinterlassen. Ich habe nie etwas tun können, mich mit einem Manne abzufinden, der sechs Jahre Glück und Unglück, Ehre und Gefahr mit mir geteilet. Ich werde es nicht vergessen, daß ein Sohn von ihm da ist. Er wird mein Sohn sein, sobald ich sein Vater sein kann. Die Verwirrung, in der ich mich jetzt selbst befinde –

DIE DAME. Edelmütiger Mann! Aber denken Sie auch von mir nicht zu klein! Nehmen Sie das Geld, Herr Major; so bin ich wenigstens beruhiget. –

V. TELLHEIM. Was brauchen Sie zu Ihrer Beruhigung weiter als meine Versicherung, daß mir dieses Geld nicht gehöret?

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