Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 21)
– Seine Küsse sind Pest, seine Lippen vergiften die deinen!
Amalia (schlägt ihn). Schamloser Lästerer!
Franz. Graut dir vor diesem Karl? Ekelt dir schon von dem matten Gemälde? Geh, gaff ihn selbst an, deinen schönen, englischen, göttlichen Karl! Geh, sauge seinen balsamischen Atem ein und laß dich von den Ambrosiadüften begraben, die aus seinem Rachen dampfen! Der bloße Hauch seines Mundes wird dich in jenen schwarzen, totähnlichen Schwindel hauchen, der den Geruch eines berstenden Aases und den Anblick eines leichenvollen Walplatzes begleitet.
Amalia (wendet ihr Gesicht ab).
Franz. Welches Aufwallen der Liebe! Welche Wollust in der Umarmung! – Aber ist es nicht ungerecht, einen Menschen um seiner siechen Außenseite willen zu verdammen? Auch im elendesten äsopischen Krüppel kann eine große, liebenswürdige Seele wie ein Rubin aus dem Schlamme glänzen. (Boshaft lächelnd.) Auch aus blattrichten Lippen kann ja die Liebe –
Freilich, wenn das Laster auch die Festen des Charakters erschüttert, wenn mit der Keuschheit auch die Tugend davonfliegt, wie der Duft aus der welken Rose verdampft – wenn mit dem Körper auch der Geist zum Krüppel verdirbt –
Amalia (froh aufspringend). Ha! Karl! nun erkenn ich dich wieder! Du bist noch ganz! ganz! Alles war Lüge! – Weißt du nicht, Bösewicht, daß Karl unmöglich das werden kann? (Franz steht einige Zeit tiefsinnig, dann dreht er sich plötzlich um zu gehen.) Wohin so eilig? Fliehst du vor deiner eigenen Schande?
Franz (mit verhülltem Gesicht). Laß mich! laß mich! – meinen Tränen den Lauf lassen. – Tyrannischer Vater! den besten deiner Söhne so hinzugeben dem Elend – der ringsumgebenden Schande! – Laß mich, Amalia! Ich will ihm zu Füßen fallen, auf den Knien will ich ihn beschwören, den ausgesprochenen Fluch auf mich, auf mich zu laden – mich zu enterben – mich – mein Blut – mein Leben – alles –
Amalia (fällt ihm um den Hals). Bruder meines Karls, bester, liebster Franz!
Franz. O Amalia! Wie lieb ich dich um dieser unerschütterten Treue gegen meinen Bruder – verzeih, daß ich es wagte, deine Liebe auf diese harte Probe zu setzen! – Wie schön hast du meine Wünsche gerechtfertigt! – Mit diesen Tränen, diesen Seufzern, diesem himmlischen Unwillen – auch für mich, für mich – unsere Seelen stimmten so zusammen.
Amalia. O nein, das taten sie nie!
Franz. Ach, sie stimmten so harmonisch zusammen, ich meinte immer, wir müßten Zwillinge sein! Und wär der leidige Unterschied von außen nicht, wobei leider freilich Karl verlieren muß, wir würden zehnmal verwechselt. Du bist, sagt ich oft zu mir selbst, ja, du bist der ganze Karl, sein Echo, sein Ebenbild!
Amalia (schüttelt den Kopf). Nein, nein, bei jenem keuschen Lichte des Himmels! kein Äderchen von ihm, kein Fünkchen von seinem Gefühle –
Franz. So ganz gleich in unsern Neigungen. – Die Rose war seine liebste Blume – welche Blume war mir über die Rose? Er liebte die Musik unaussprechlich, und ihr seid Zeugen, ihr Sterne! Ihr habt mich so oft in der Totenstille der Nacht beim Klaviere belauscht, wenn alles um mich begraben lag in Schatten und Schlummer – und wie kannst du noch zweifeln, Amalia, wenn unsere