Ungekürztes Werk "Die Räuber" von Friedrich Schiller (Seite 51)
die Pfeile des Schmerzens nimmermehr stumpf machen. – Besinne dich recht, mein Sohn! (Er nimmt seine Hand.) Denk, ich rate dir als ein Vater – lern erst die Tiefe des Abgrunds kennen, eh du hineinspringst! Wenn du noch in der Welt eine einzige Freude zu erhaschen weißt – es könnten Augenblicke kommen, wo du – aufwachst – und dann – möcht es zu spät sein. Du trittst hier gleichsam aus dem Kreise der Menschheit – entweder mußt du ein höherer Mensch sein, oder du bist ein Teufel. – Noch einmal, mein Sohn! wenn dir noch ein Funken von Hoffnung irgend anderswo glimmt, so verlaß diesen schrecklichen Bund, den nur Verzweiflung eingeht, wenn ihn nicht eine höhere Weisheit gestiftet hat. – Man kann sich täuschen – glaube mir, man kann das für Stärke des Geistes halten, was doch am Ende Verzweiflung ist – Glaube mir, mir! und mach dich eilig hinweg.
Kosinsky. Nein! ich fliehe itzt nicht mehr. Wenn dich meine Bitten nicht rühren, so höre die Geschichte meines Unglücks. – Du wirst mir dann selbst den Dolch in die Hände zwingen, du wirst. – Lagert euch hier auf dem Boden und hört mir aufmerksam zu!
Moor. Ich will sie hören.
Kosinsky. Wisset also, ich bin ein böhmischer Edelmann und wurde durch den frühen Tod meines Vaters Herr eines ansehnlichen Rittergutes. Die Gegend war paradiesisch – denn sie enthielt einen Engel – ein Mädchen, geschmückt mit allen Reizen der blühenden Jugend und keusch wie das Licht des Himmels. Doch, wem sag ich das? Es schallt an euren Ohren vorüber – Ihr habt niemals geliebt, seid niemals geliebt worden –
Schweizer. Sachte, sachte! unser Hauptmann wird feuerrot.
Moor. Hör auf! Ich will’s ein andermal hören – morgen, nächstens, oder – wenn ich Blut gesehen habe.
Kosinsky. Blut, Blut – höre nur weiter! Blut, sag ich dir, wird deine ganze Seele füllen. Sie war bürgerlicher Geburt, eine Deutsche – aber ihr Anblick schmelzte die Vorurteile des Adels hinweg. Mit der schüchternsten Bescheidenheit nahm sie den Trauring von meiner Hand, und übermorgen sollte ich meine Amalia vor den Altar führen.
Moor (steht schnell auf).
Kosinsky. Mitten im Taumel der auf mich wartenden Seligkeit, unter den Zurüstungen zur Vermählung – werd ich durch einen Expressen nach Hof zitiert. Ich stellte mich. Man zeigte mir Briefe, die ich geschrieben haben sollte, voll verräterischen Inhalts. Ich errötete über der Bosheit – man nahm mir den Degen ab, warf mich ins Gefängnis, alle meine Sinnen waren hinweg.
Schweizer. Und unterdessen – nur weiter! Ich rieche den Braten schon.
Kosinsky. Hier lag ich einen Monat lang und wußte nicht, wie mir geschah. Mir bangte für meine Amalia, die meines Schicksals wegen jede Minute einen Tod würde zu leiden haben. Endlich erschien der erste Minister des Hofes, wünschte mir zur Entdeckung meiner Unschuld Glück mit zuckersüßen Worten, liest mir den Brief der Freiheit vor, gibt mir meinen Degen wieder. Itzt im Triumphe nach meinem Schloß, in die Arme meiner Amalia zu fliegen, – sie war verschwunden. In der Mitternacht sei sie weggebracht worden, wüßte niemand, wohin! und seitdem mit keinem