Ungekürztes Werk "Wilhelm Tell" von Friedrich Schiller (Seite 12)

fährt, dem Mythenstein grad über,

Liegt eine Matte heimlich im Gehölz,

Das Rütli heißt sie bei dem Volk der Hirten,

Weil dort die Waldung ausgereutet ward.

Dort ist's wo unsre Landmark und die Eure

Zu Melchtal:

Zusammengrenzen, und in kurzer Fahrt

Zu Stauffacher:

Trägt Euch der leichte Kahn von Schwyz herüber.

Auf öden Pfaden können wir dahin

Bei Nachtzeit wandern und uns still beraten.

Dahin mag jeder zehn vertraute Männer

Mitbringen, die herzeinig sind mit uns,

So können wir gemeinsam das Gemeine

Besprechen und mit Gott es frisch beschließen.

STAUFFACHER:

So sei's. Jetzt reicht mir Eure biedre Rechte,

Reicht Ihr die Eure her, und so wie wir

Drei Männer jetzo, unter uns, die Hände

Zusammenflechten, redlich, ohne Falsch,

So wollen wir drei Länder auch, zu Schutz

Und Trutz, zusammenstehn auf Tod und Leben.

WALTHER FÜRST und MELCHTAL:

Auf Tod und Leben!

Sie halten die Hände noch einige Pausen lang zusammengeflochten

und schweigen.

MELCHTAL:  Blinder alter Vater!

Du kannst den Tag der Freiheit nicht mehr schauen,

Du sollst ihn hören – Wenn von Alp zu Alp

Die Feuerzeichen flammend sich erheben,

Die festen Schlösser der Tyrannen fallen,

In deine Hütte soll der Schweizer wallen,

Zu deinem Ohr die Freudenkunde tragen,

Und hell in deiner Nacht soll es dir tagen.

Sie gehen auseinander.

Zweiter Aufzug

Erste Szene

 

Edelhof des Freiherrn von Attinghausen.

 

Ein gotischer Saal mit Wappenschildern und Helmen verziert.

Der Freiherr ein Greis von fünfundachtzig Jahren, von hoher edler

Statur, an einem Stabe worauf ein Gemsenhorn, und in ein Pelzwams

gekleidet. Kuoni und noch sechs Knechte stehen um ihn her mit

Rechen und Sensen – Ulrich von Rudenz tritt ein in Ritterkleidung.

 

RUDENZ: Hier bin ich Oheim – Was ist Euer Wille?

ATTINGHAUSEN:

Erlaubt, daß ich nach altem Hausgebrauch

Den Frühtrunk erst mit meinen Knechten teile.

Er trinkt aus einem Becher, der dann in der Reihe herumgeht.

Sonst war ich selber mit in Feld und Wald,

Mit meinem Auge ihren Fleiß regierend,

Wie sie mein Banner führte in der Schlacht,

Jetzt kann ich nichts mehr als den Schaffner machen,

Und kommt die warme Sonne nicht zu mir,

Ich kann sie nicht mehr suchen auf den Bergen.

Und so in enger stets und engerm Kreis,

Beweg ich mich dem engesten und letzten,

Wo alles Leben stillsteht, langsam zu,

Mein Schatte bin ich nur, bald nur mein Name.

KUONI zu Rudenz mit dem Becher:

Ich bring's Euch, Junker.

Da Rudenz zaudert den Becher zu nehmen:

Trinket frisch! Es geht

Aus einem Becher und aus einem Herzen.

ATTINGHAUSEN:

Geht Kinder, und wenn's Feierabend ist,

Dann reden wir auch von des Lands Geschäften.

Knechte gehen ab.

 

Attinghausen und Rudenz

 

ATTINGHAUSEN: Ich sehe dich gegürtet und gerüstet,

Du willst nach Altorf in die Herrenburg?

RUDENZ: Ja Oheim, und ich darf nicht länger säumen –

ATTINGHAUSEN setzt sich:

Hast du's so eilig? Wie? Ist deiner Jugend

Die Zeit so karg gemessen, daß du sie

An deinem alten Oheim mußt ersparen?

RUDENZ: Ich sehe, daß Ihr meiner nicht bedürft,

Ich bin ein Fremdling nur in diesem Hause.

ATTINGHAUSEN hat ihn lange mit den Augen gemustert:

Ja leider bist du's. Leider ist die Heimat

Zur Fremde dir geworden! – Uli! Uli!

Ich kenne dich nicht mehr. In Seide prangst du,

Die Pfauenfeder trägst du stolz zur Schau,

Und schlägst den Purpurmantel um die Schultern,

Den Landmann blickst du mit Verachtung an,

Und schämst dich seiner traulichen Begrüßung.

RUDENZ:

Die

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