Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 192)
genugsam angetragen wurde. Aber die Frau verstarb im ersten Kindbett und ließ ihm statt ihrer eine Tochter, deren spätere Schönheit man weder der Mutter noch dem überlebenden Vater nachzurechnen wußte. Diesem selber aber, so gern er sonst abends in der Schenke seine Weisheit ausgeboten hatte, war seitdem die Stadt verleidet worden; sei es ob so plötzlicher Verwaisung seines Hauses, sei es wegen Haders mit der Sippe seines Weibes, die das Neugeborene nicht in seinen Händen lassen wollte.
Nun war es schon über ein Jahrzehnt, daß abseits des Dorfes unterhalb Grieshuus sich zur Verwunderung der Bauern ein städtisch Männlein angesiedelt hatte, das Sommer und Winter in spitzem Hut und einem Vielfraßpelze in die Kirche ging. Das vom Hofherrn in Erbhäuer erworbene Grundstück hatte er zum Garten umschaffen, es dann mit Wällen einschließen und diese mit Weißbuchen und Hagedorn dicht bepflanzen lassen, so daß, als allmählich die Hecken aufgewachsen waren, die Giebelseite des kleinen Hauses wie aus einem grünen Nest hervorsah, während ringsum kahle Felder lagen.
Wer am Winterabend durch die kleinen Scheiben hier hineingesehen hätte, würde den Alten meistens mit der Feder in der Hand erblickt haben; vor einem Foliobogen gelblichen Papieres, worauf bei kargem Kerzenlichte ein Schreibwerk langsam weiterrückte. An Sommertagen mußte man ihn im Garten bei seinen Bienenkörben suchen, die dort gegen Osten in doppelten Reihen übereinander an dem hohen Zaune aufgestellt waren. Hier konnte man auch wohl das blonde Dirnlein sehen, das mit ihm eingezogen war; mitunter saßen sie beisammen auf einem Bänkchen unterhalb der grünen Hecke; der Alte hatte dann ein aufgeschlagen Buch in Händen und las ihr vor, oder er zeigte mit dem Finger und ließ die Kleine selber lesen. Ins Dorf hinunter kam sie nicht; nur eine Zeitlang, da sie größer worden, war sie wohl mit Schriften auf den Herrenhof gegangen, die ihr Vater für den alten Junker angefertigt hatte. Dann hatte auch dieses aufgehört; nun war sie seit Jahren hier nicht mehr gesehen worden: eine alte Frau in feinem Tuchmantel und verbrämter Kappe war mit ihr durch das Dorf und den Weg zur Stadt hinausgefahren, eine reiche »Möddersch«, wie man sich erzählte; das Kind sollte was Besseres lernen, als hier im Dorf zu haben war, und in der großen Kirche eingesegnet werden. Auch später hatte die Möddersch sie nicht missen wollen; als aber jetzt die Tausende des fremden Kriegsvolkes gegen die Stadt anrückten, hatte das Männlein, fast mit Gewalt, die Tochter in sein Gartennest zurückgeholt. Allein eben hieher sprengte der Krieg sein losestes Gesindel; schon einmal hatte er vor des Herzogs Freunden, den längst arg berufenen Schweden, das Kind so tief unter dem Dach versteckt gehalten, daß es danach mit einem Spinnwebhäubchen auf dem blonden Haar hervorgezogen wurde; was er aber jetzt bei hellem Sonnenschein durch eine Lücke des Gartenzaunes gegen sein Haus heranlaufen sah, die langen Schnauzbärte und die roten Mäntel, das mußten Polacken, wenn nicht gar Tartaren sein!
Die Kniee des kleinen Mannes schlotterten; erst eben hatte er droben hinter dem offenen Giebelfenster eine helle Stimme singen hören. »Bärbe, Bärbe!« rief er an das Haus