Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 191)
selbst vom Lager aufgestanden.
Nur nach dem blonden Dirnlein hat der Junker Hinrich noch manch einmal vergebens ausgeschaut, auch unterweilen sich verdrossen abgewandt, wenn statt ihrer ein verhutzelt Männlein mit Schriftwerk in der Hand den Anberg zu Grieshuus hinaufgestiegen ist.
– – Von dem jüngeren Zwillingsbruder, welcher derzeit in der Klosterschule zu Bordesholm gesessen, ist solcherlei Gewalttat niemals kund geworden; als man später ihm davon berichtet, hat er zu beidem, was vor und nach geschehen, den Kopf geschüttelt und nur gesagt: »Er weiß nicht, was uns ziemet.« Zu dem Bruder selber hat er nie ein Wort davon geredet.
Auf der Universität zu Leipzig, die er bald danach beschritten, hat er seine Juridica und Humaniora mit Fleiß traktiert, auch sich in allen Dingen wohl verhalten, insonders bei der welschen Kleiderhoffart, die dort arg im Schwange ging, ein jedes Übermaß vermieden. Gleichwohl, da er eines Sonntagnachmittages während der Vakanzzeit mit dem Bruder durch das Dorf hinabschritt, reckten alle Bauern nebst Kindern und Gesinde den Hals aus Tür und Fenstern, um dem gelehrten Herrn in seiner Alamodekleidung, mit dem weißgepuderten Kopfe, Kniebändern und Manschetten, nachzuschauen. Als später Junker Hinrich den Weg allein zurückschritt, im grauen Wams, die Ledermütze mit der Falkenfeder auf dem dunklen, kurz gestutzten Haar, da waren es nur die jungen Dirnen, welche möglichst weit die Augen auftaten; nur waren sie in die Tiefe des dunklen Flurs zurückgetreten oder bargen sich hinter der offenen Haustür und sahen heimlich durch den Spalt, solange es irgend reichen mochte.
Es wäre nicht Not gewesen, der Junker Hinrich hatte kein Auge für die Dirnen; so wenig, daß die jungen Knechte, die sich des doch hätten getrösten mögen, von ihm zu sagen pflegten, der Junker sei wohl schon ein Kerl; nur in dem einen nicht!
Um ein paar Jahre später hat gleichwohl auch ihm seine Stunde schlagen müssen; eine schicksalsschwere, mit der die letzte seines Hauses angebrochen ist.
– – Jene arge Zeit war damals über unser Land gekommen, deren Greuel unter dem Namen des »Polackenkrieges« noch lange beim Bierkrug wie am Spinnrad im Gedächtnis blieben. Zwar unser Herzog führte keinen Krieg, er redete zum Frieden: aber von den Streitenden war der junge schwedische Kriegsfürst seiner Tochter Mann, der mißtrauische Dänenkönig war der Mitregent der Lande und schonte weder diese noch den Herzog, seinen Schwestersohn. Nicht dessen drückende Brandschatzung war indes das Schlimmste; aber ihm zu Hülfe überschwemmte fremdes Volk das Land: Kaiserliche und Brandenburger, am gefürchtetsten die Polen, unter denen Türken und Tartaren mitzogen; sie plünderten und vergewaltigten und erschlugen, so sie es vermochten, was sich widersetzte.
Unter den trotz solchen Schreckens Couragierten zählte ein altes, verbissenes Männlein, das Zeit seines Lebens mehr die Feder als die Waffen geführt hatte. In seinen besten Jahren ein herzoglicher Kornschreiber, hatte er noch vor Schluß des Mannesalters eine städtische Waise zur Ehe einzufangen verstanden und seit diesem einträglichen Geschäfte seinen beschwerlichen Dienst quittiert. Er hatte drunten in der Stadt sich in dem Erbhaus seines Weibes eingerichtet, nach eigenem Behagen dem Schreibwerk obliegend, das ihm von Kirchen- oder Gasthausvorstehern oder anderen mit der Feder ungewandten Bürgern