Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 189)

der Junker nach der wunden Pfote faßte, schrie das Tier erbärmlich. »Vorwärts« , rief er dem Knechte zu; »wir wollen auch zu Hof!«

Der Junge Hans Christoph aber stand noch droben vor dem Torhaus und ein süßes zehnjähriges Dirnlein neben ihm. »Was willst du denn so spät noch?« frug er; »es wird ja balkendunkel, eh du wieder heim im Dorf bist; und hörst du? Es kommt Unwetter aus Nordwest!«

»Ja«, sagte sie und nickte mit ihrem blonden Köpfchen, »ich fürcht mich auch; aber ich trag hier Schriften, die so spät erst fertig worden; mein Vater hat sie für euern alten Herrn geschrieben, und du könntest sie ihm wohl bringen; ich scheu mich so vor ihm.«

Aber Hans Christoph antwortete nicht; mit entsetzten Augen starrte er auf den kleinen Zug, der eben jetzt den Heidestieg hinaufkam; denn in erschreckender Deutlichkeit baumelte das vergessene Eisen an der Hand des voraufgehenden Knechtes; darüber erblickte er den weißen Hund, der gleich einem wunden Wild auf dessen Armen lag. Und schon waren sie oben, und der Junker stand mit grimmem, schier verzerrten Antlitz vor dem Jungen.

»Herr! Ach, Herr!« Im Schrecken suchte der des Junkers Arm zu fassen; aber schon hatte der schwere Stock des Jungen Kopf getroffen, daß er lautlos auf den Boden fiel.

Ein Schrei des blonden Dirnleins hat die Stille unterbrochen: »Pfui, pfui, der böse Junker!« Einen Augenblick noch hat sie groß und angstvoll zu ihm aufgeschaut; dann unter stürzenden Tränen die Schriften, die sie noch in Händen hatte, von sich werfend, ist sie den Seitenstieg hinabgerannt, der um die Gebäude nach dem Dorfe führte.

Der Junker Hinrich, der wie leblos dagestanden, ist plötzlich aufgefahren: »Bärbe! Bärbe!« denn er pflegte mit dem Kinde sonst manch gütig Wort zu reden; dann aber, da sie ihn nicht hörte, hat er sich über den wimmernden Jungen auf den Boden hingeworfen, Haar und Wangen ihm gestreichelt und ihn letztlich mit dem Knechte nach seiner Kammer und auf sein eigen Bett getragen.

Die dicke Ausgeberin, die mit der Magd schon vor der Küchentür gestanden, ist emsig hinterher getrabt: »Nun, Junker, da habt Ihr Saubres angerichtet; da draußen nichts als Nacht und Unwetter, und der Chirurgus meilenweit da drüben in der Stadt!«

Der Junker hat kein Wort darauf erwidert, aber er ist fort und nach dem Hof hinabgerannt; und kaum eine Stunde später hat er auf seines Vaters großem Rappen vor dem Stadttor angehalten. Als aber nach vielem Rufen ihm geöffnet worden, war auf den dunkeln Gassen groß Gewimmel und Gejauchze; war doch am Nachmittage von gesamten Zimmerleuten aus Stadt und Amt der neue Galgen vor dem Ostertore in Präsenz des worthabenden Bürgermeisters aufgerichtet und ihnen dann frei Bier in großen Tonnen vom Magistrat verabreicht worden; da haben die anderen Gewerke auch nicht trockensitzen wollen, und sind auf den Abend viel lustiger Leute in der Stadt gewesen.

An einem Häuschen, das sich auch im Dunkeln durch die im Winde klappernden Becken kenntlich machte, hatte der Junker seinen Rappen angebunden. »Holla, Frau Meisterin, ist denn Ihr Mann noch auf den Beinen?«

Die alte Frau, die mit einem qualmenden Lämpchen

Seiten