Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 187)
nur den Sand in Wirbeln über einem leeren Absturz treiben.
Die Bilder, welche in dieser Nacht in mir lebendig wurden, waren nicht nur Phantasiegemälde; in einem älteren Werke über die einstigen Herrensitze unseres Landes, das vor Jahren mir zur Hand gekommen war, hatte ich den Grundriß nebst einer kleinen äußeren Ansicht von Grieshuus gefunden und mich schon derzeit ganz darin vertieft. Von nun an aber ließ es mir keine Ruhe mehr; wo ich irgend in Schrift und Druckwerk oder im Gedächtnis eines Menschen derart Verborgenes witterte, mußte es hervorgegraben werden; vom Bürgermeister bis zu dem würdig redenden Barbier und Amtschirurgus, dessen Becken, wie der Staupbesen unseres letzten Scharfrichters, durch Jahrhunderte auf den jetzigen Inhaber herabgeerbt waren, mußten mir alle stillhalten. Auch trugen mein Fleiß und meine Unverschämtheit mir unerwartet reiche Frucht; mein Vater aber, wenn er mich die eingeheimsten Kunden in das eigens dazu hergerichtete Heft eintragen sah, nannte mich scherzend den »Chronisten von Grieshuus«.
Und als solcher, nachdem seit damals wiederum ein halbes Jahrhundert abgelaufen ist, will ich es jetzt erzählen.
Erstes Buch
Um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts und noch während eines Dezenniums später saß zu Grieshuus ob der Heidemulde, »baven de Heidkul«, wie es in gleichzeitigen Akten heißt, ein Junker, dessen Familienname seit lange aus den Geschlechtsregistern unseres Adels verschwunden ist; auch weiß man von ihm selber nicht viel mehr, als daß seine Wirtschaft und sein Wappen die beiden Dinge gewesen sind, von denen er, wenn überhaupt, bei gutem Trunk am breitesten geredet hat; wie er dafür gerühmt worden, daß er seinen Acker nicht verunkrauten lasse, so hat er auch mit lebender und fast mit toter Hand gewehret, daß sein adeliges Blut sich nicht an dem gemeinen roten Blut verfärbe. Gereiset ist er stets im Sattel; doch wenn die Glocken zum Gottesdienst geläutet haben, ist er in einen offenen Kastenwagen mit hohen, roten Rädern eingestiegen; denn als Patron stand ihm allein das Recht zu, auf dem Kirchhof bis vor den Eingang in die Kirche anzufahren; das durfte nicht versäumt werden. An der Ostseite der Mauer, wo die Gruftkapelle war, befinden sich noch jetzt zwei ungefüge Ringe, an denen der Fuhrknecht dann die Pferde anband. Aber das alte Haus hat derzeit, die seinen ungerechnet, nur auf vier Augen noch gestanden.
Ein Paar von Zwillingsbrüdern ist es gewesen, im Anfang fast sich gleich an Antlitz und schlanker Wohlgestalt: ein schmales Haupt mit hart an der vorspringenden Nase stehenden Augen und schwarzbraunem Haupthaar ist allen dieses Geschlechtes eigen gewesen; bei dem ältesten der Brüder aber, dem Junker Hinrich, hat an den Schläfen sich das Haar gleich einem dunklen Gefieder aufgesträubt, so daß man ihn mit seinen grauen, oft jähe Funken werfenden Augen einem Adler soll verglichen haben. Bei dem Junker Detlev dagegen ist das anfangs wellige Haar allmählich schlichter worden, bis es in Strähnen auf das Wams herabfiel, und wenn, was drum nicht seltener geschehen, Zorn oder Grimm ihn überkommen, so sind seine Augen wie stumpf geworden und hat niemand sehen können, was dahinter vorgegangen. Es ist nicht kundgeworden, daß er den Hörigen oder