Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 188)

dem Gesinde etwas Übles angetan, aber dennoch sind sie gern ihm aus dem Weg gegangen, als ob solches gleichwohl von ihm zu fürchten sei.

Zwischen den Brüdern soll kaum je ein Zank, noch weniger aber eine Kameradschaft gewesen sein, ersteres wohl nur, weil jeder seinen eigenen Weg gegangen; denn während der Jüngere Liebling des Informators gewesen und auch noch nach den Lehrstunden in ihrer Kammer über den Büchern gesessen ist, hat der Ältere alsbald den Bauern und Knechten draußen bei der Arbeit zugesehen, auch wohl selber Sichel oder Pflug mit angefaßt; am liebsten ist er aus dem Torweg und dann geradezu den Fußsteig durch die Heidemulde hinabgerannt und hat drüben oberhalb des Aufstiegs, wo mit mächtigen Kronen die Wälder auf den Höhenseiten zueinander traten, bei dem alten Revierjäger angeklopft, der dort mit einem Knechte in einem turmartigen Aufbau hauste. Unterweilen, wenn er trotz dessen Warnung an Spätherbstnachmittagen, die Mütze in der Hand, mit heißen Wangen durch das Hoftor stürzte, hat wohl der Alte ihn gescholten: »Was ist? Du hast den Wolf gesehen!« und »Komm mir so allein nicht wieder, Junker Hinrich!« Dann hat der Bube nur gelacht: »Brumme nicht, Owe Heikens! Komm und laß uns nun die Grube richten!« Und dann ist der Alte doch nur zu gern mit ihm gegangen.

Der Vater mochte, soweit er darum wußte, dies alles so geschehen lassen; denn obwohl ihm das Gut zu freier Erbverfügung stand, so war doch nach Haus- und Landesbrauch der Erstgeborene allzeit als künftiger Gutsherr angesehen worden, auch mag der Knabe selber solchen Sinns gewesen sein; die Bauern aber und die Hofesleute sind, je mehr die Brüder aufgewachsen, des nur immer froher worden. Zwar ist der Junker Hinrich, wie auch sonst die meisten seines Stammes, jach zur Tat gewesen; der Bibelspruch, das »Selig sind die Sanftmütigen«, den bei der Einsegnung der beiden Brüder der Geistliche ihm auf den Weg gab, hat dagegen nicht verschlagen wollen. Denn nicht lange danach war es, an einem Novembernachmittage; die Dämmerung fiel schon herab, und noch immer suchte er nach seinem weißen Leibhund, den er seit Mittag schon vermißte. Grollend war er aus dem Torweg und bis zum Abstieg vorgeschritten: »Tiras! Tiras!« schrie er; dann ließ er durch die Finger einen gellen Pfiff erschallen; und alsbald, da er sich lauschend vorgebeugt, kam es wie Klagelaute drunten aus der Heide. Da lief er in das hohe Kraut hinab, dem Schalle folgend, der wieder und immer näher ihm entgegendrang, und schon erkannte er einen von den Knechten, der trug das große Tier auf seinen Armen.

»Was soll das?« rief er, »laß den Hund zu Boden!«

Das Tier aber streckte winselnd den Kopf nach seinem Herrn. »Es geht nicht«, sagte der Knecht; »unten am Moorloch hat er im Fuchseisen festgesessen.«

Der Junker stieß einen Fluch aus und wuchtete in der Faust den dicken Knotenstock, womit er es vorhin dem Hunde zugedacht hatte: »Wo ist Hans Christoph?« frug er. »Er sollt es fortnehmen; schon vor Mittag hatt ich's ihm geheißen.«

»Der Junge ist was vergeßlich, Herr; ich denk, er ist wohl schon zu Hof gegangen.«

Als

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