Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 190)

im Hausflur vor ihm stand, gab keine Antwort; mit verstürztem Antlitz wandte sie sich um und lief in eine Kammer. »He, Nikolaus, Nikolaus!« hörte er sie rufen, »der Junker von Grieshuus steht draußen!«

Aber der Junker stand schon in der Kammer und vor der Bettstatt, wo der Amtschirurgus schnarchend und voll süßen Bieres auf den Kissen lag. Da haben er und die Frau Meisterin den trunkenen Mann mit gütlichen Worten sanft gerüttelt, bis die müde Seele wie aus eines Brunnens Tiefe an die Oberwelt gelangte; als aber die mageren Beine nicht aus der Bettstatt vorwärts wollten, hat der Junker zur Ermunterung mit seiner Peitsche hin und her geklatscht, und als die Frau darüber schier verschrocken worden, dem Manne selbst in Wams und Hosen helfen müssen. »So, Meister Nikolaus, Er braucht heut keine Sporen; und soll der Ritt ihm gut vergolten werden!« Dann hat er ihm den Mantel umgeworfen und den Hut aufs Haupt gestülpt: »Nun das Verbandszeug und das Apostalipflaster!«

Und eh er sich's versehen, hat der Amtschirurgus hinter dem Junker hoch zu Roß gesessen, die Kniee aufgezogen, die Hände um des Reiters Leib geklammert.

»Ade, Frau Meisterin!« Und unter des Junkers Sporen ist der hochbeinige Rappe durch die dunkeln Gassen hingeflogen, dann durch das Tor und über die Felder in die Nacht hinaus. Als sie, schon nahe an Grieshuus, bei der Kirche im Dorf vorüberbrausten, hat der Küster, der eben von einer Hochzeit kam, ein »Alle guten Geister!« ausgestoßen und gemeinet, daß ein Hexenpaar an ihm vorbeifliege; denn der Mantel des Amtschirurgus hat wie ein Weiberrock im Wind gestanden.

Und endlich klapperten des Rappen Hufe in der Torfahrt von Grieshuus.

»Da bring ich ihn, Greth-Lise!« rief der Junker fröhlich, als er den hageren Chirurgus vorab in die Kammer schob.

»Still, still, Junker Hinrich!« und die wackere Alte, welche eben des Jungen Kopf mit Wasser kühlte, winkte dem Eintretenden abwehrend mit der Hand; »hier liegt ein Kranker, den Ihr selbst gemacht habt.«

Da warf der Junker sich vor dem Jungen an die Bettstatt: »Hans Christoph, verklag mich nicht da oben! Wir wollen's noch bei Lebzeit wettzumachen suchen!« Der Bursche aber richtete sich stöhnend auf dem Ellenbogen in die Höhe, so daß die Füße mit den groben Nagelschuhen, die man nicht abgenommen hatte, aus den Decken fuhren. »Junkherr«, sagte er bittend, »dann lasset unsern Tiras auch von dem Balbierer doktern!«

»Den Tiras?« – Dem Junker wollte die Stimme nicht recht aus der Kehle, und eine Weile hat er ihm nur eifrig zugenickt. »Ja, ja, Hans Christoph, auch den Tiras!«

Und danach hat der Amtschirurgus, dem der Nachtwind allen Dunst vom Hirn gefeget, sein barmherzig Werk verrichtet; an dem Jungen erst, dann an dem Hunde; und an beiden ist die Kunst des Mannes nicht zuschanden worden.

Zwar hat der Herrensohn noch manche Nacht im Wechsel mit der unermüdlichen Greth-Lise Krankenwacht gehalten; als aber eines Morgens der weiße Hund mit Sprüngen in die Kammer tobte und dann der Junker rief: »Tiras, hallo, so gib Hans Christoph doch die Pfote!« da hat der Junge vor Freuden hell aufgelacht und ist nach ein paar Tagen

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