Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 228)
geschossen sein.« Da huckte sie sich eilig nieder, und das Hemd auf ihre Füße ziehend, bog sie ihr Köpfchen hinaus, daß die dunkle Haarflechte über ihre Schulter fiel. »Dank; gute Nacht!« sagte sie leise und streckete mir den hageren Arm entgegen, so daß ich ihre Hand ergreifen mußte. »Gute Nacht, Abel!«
Dann klappte das Fenster zu, und ich vernahm noch, wie sie drinnen mit leichten Füßen auf den Boden sprang.
– – Erst nach Jahren wurde es mir klar, weshalb ich in der Nacht darauf fast widerwillig nur geschlafen hatte. Aber da ich folgenden Tages meinen Junker bitten wollte, daß er den Ruhestörer schieße, überfiel es mich wie ein Scham; denn er achtete das Mädchen schier gering und schien von ihrem Treiben nichts zu merken. So sprach ich nur: »Die alte Matten kann davor nicht schlafen, Rolf!«
Da war er gleich bereit; und abends, wo der Himmel, wie gestern, mit allen Sternen leuchtete, schlichen wir miteinander auf dem Gartensteige, der Knabe die gespannte Flinte in der Hand. Mir war, ich weiß es nicht, weshalb, beklommen, so daß ich aufschrak, als plötzlich der mißfällige Schrei des Kauzes aus dem Dornbaum scholl; Rolf aber trat behutsam näher; ein Schuß krachte, und ich hörete, wie der getroffene Vogel durch die Zweige fiel. Doch im selben Augenblicke wurde die Gangthür aus dem Hause aufgerissen; und ich sah wohl, daß es Abel war, denn so gleich einem Vogel konnte hier keine andre fliegen, auch schimmerte ihr graues Kleidchen in der Abendhelle; ich sah es, sie hatte die Hände des Junkers ergriffen und küßte sie wohl zu hundert Malen.
Er schien sie zuerst nicht zu erkennen; dann aber rief er: »Bist du toll? Ich will nicht deine Küsse; der Schuß war nicht für dich!« Und da das heftige Kind nicht allsogleich von ihm abließ, stieß er sie voll Zorn zurück, daß sie stolperte und mit einem Wehschrei ihr Antlitz auf den Boden schlug.
Rolf war im Augenblicke bei ihr, um sie aufzuheben. »Nein, nein!« schrie sie und stieß mit beiden Händen gegen ihn; dann wie eine Katze war sie aufgesprungen und laut weinend durch die Gangthür in das Haus verschwunden.
Rolf wandte sich und schien seiner Beute nachzusuchen. »Das war nicht gut«, sagte ich, »daß du des Kindes Dank so von dir stießest! Sie wird sich arg zerschunden haben.«
Da war er zu mir getreten. »Lassen Sie es gut sein, Herr Magister«, sagte er; »das heilt schon wieder. Es ist kein Unglück, daß ich nicht bin wie meiner Mutter Vater; die alte Matten wird nun schlafen können.«
Er hatte das also ernst gesprochen, daß ich ihm nichts entgegnete; denn es war mir kund geworden, daß seine Großmutter eines geringen Mannes Kind gewesen und sein väterlich Geschlecht darob zugrund gegangen sei.
Aber mit der Abel war's, als ob sie sich seitdem vor aller Welt verstecke; nur einmal, an der Küche, huschte sie an mir vorüber, und ich gewahrete, daß von der Stirne abwärts ein blutrünstiger Streifen ihr zart Gesicht verunzierete.
Da redete ich mit unserem Herrn und mit der alten Matten, und das Kind wurde bei guten