Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 230)

er selber wieder nach unten hinabschritt.

Noch bevor er wieder bei uns war, kam vom Hofe herauf das klägliche Geschrei eines Zickleins, das je mehr, um desto stärker wurde. Als er dann hereinkam, sprach er: »Tretet nun ans Fenster!« Und da das geschehen, sahen wir unten ein weißes Zicklein, das von einem aus dem Hause an einem Stricke vor der Thür gehalten wurde und zeitweilig seinen Lockruf in die Ferne schrie; denn der Mond war eben seitwärts von Grieshuus emporgestiegen und warf jetzt einen Schimmer draußen über den Mauerrand. Da sahe ich zwei Seile, die von dem Thor in unser Zimmer gingen, und der Wildmeister wies uns, wie er dasselbe damit aufthun und verschließen könne; aber er hielt es noch verschlossen.

Der Junker lugte mit heißen Wangen hinaus. »Wo sind die Hunde?« frug er.

»Eingeschlossen; wir brauchen sie heute nicht.«

Der Junker nickte.

»Es ist eine Wölfin«, sagte der Alte; »ein wild und grausam Thier, denn sie hat spät gewölfet; wenn sie abends ausgeht, ist kein Hausthier mehr draußen, und das Kleingewild verkriecht sich in die Erde.

Ein seltsames Geräusch drang ins Gemach, das einem Schnarchen glich. »Hört!« sagte der Junker hastig.

Aber der Alte wies nach der Zimmerdecke und sprach kopfschüttelnd: »Das sind nur meine Eulen, Kind! Ein Jäger muß geduldig sein.«

Der Mond hatte indeß das Zimmer mit sanftem Licht erfüllet, und ich sahe, daß es mit allen Geräthstücken versehen war, so ich sonst auf dem Boden oder in den Seitenräumen zu Grieshuus gesehen hatte; ein ungeheurer Eichentisch in des Zimmers Mitte nahm wohl ein Viertheil alles Raumes ein; da herum eine Anzahl ungefüger Stühle; am Fenster stand ein Tischlein mit ausgelegten Feldern. Der Wildmeister führte uns wieder zu den Stühlen und setzte sich selber neben Rolf. Dann begann er von seinen Jagden zu erzählen, in Preußen, Schweden, auch im Jura; er hatte ein brav Stücklein von der Welt gesehen. Aber oftmals hielt er inne und blickte auf den Knaben, der sich an ihn lehnete. »Du bist müde, Rolf«, sagte er.

»Nein, o nein; ich bin nicht müde; erzählet nur!«

Aber der Greis legte von seinem Stuhle aus den Arm um des Knaben Schulter, daß dessen Haupt an seiner Brust zu ruhen kam, und sprach dann langsam weiter. Und bald vernahm ich, wie des Junkers Athemzüge anders wurden. Er schlief; denn es mochte gegen Mitternacht sein, was ihm ungewohnte Stunde war. Da neigte der Alte sein Haupt an das des Knaben und zog ihn mit beiden Armen an sich. »O lieber Gott im Himmel, die Lieb ist gar zu groß!« So hörete ich ihn murmeln, und dann kam ein Stöhnen tief aus seiner Brust. Aber der Knabe schlief, und der Mond rückte weiter und warf sein Licht auf beider Antlitz. Gnädiger Gott, Allwisser, ich war doch schier erschrocken; die beiden mußten eines Stammes sein! So ähnlich erschienen mir in diesem Augenblick das alte und das junge Antlitz.

Der Greis saß schweigend und wandte seine Augen ins Gemach, als suchten sie etwas, das einst hier gewesen sei; da drang von unten ein Knurren der großen Hunde durch die Dielen, und

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