Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 231)

mir war, als ob Hans Christoph sie zu stillen suche; dann schrie das Zicklein vor dem Haus­thor, und ich meinete zu hören, daß von draußen etwas an der Hofmauer hinaufspringe, aber dorten wieder hinunter auf den Boden falle.

Der Wildmeister richtete sich auf, und ich sahe, wie er den Kopf des Junkers sanft zurückbeugte. »Wach auf, Kind!« sagte er; »der Wolf ist da!« Dann stund er auf, und der Knabe öffnete die Augen und schüttelte sein Haar zurück. Der Alte stieß mit einer Büchse, die er von der Wand genommen, kaum hörbar auf den Boden. »Nun komm, Rolf!« Und er faßte seine Hand und zog ihn an das Fenster. Draußen fiel das Raubthier, als wolle es sie zerbrechen, mit den Tatzen gegen die Planken des Hofthors; da griff der Wildmeister an die Leine, und ich, der ich gleichfalls an dem breiten Fenster stand, sahe nun den einen Thorflügel zurücksinken; aber dahinter war nur der leere Grund, auf welchen das Mondlicht schien. Der Wolf war fort und schien nicht rückkehren zu wollen. Wir standen lange, und ich dachte: Warum ließ der Alte nicht zu Anfang gleich das Thor geöffnet; denn nun scheuet sich das Thier? Oder wollte er nur um so länger sich des Knaben freuen?

Aber endlich, als ich wieder hinsah, stand auf dem leeren Flecke eine Kreatur, einem dürren, hochbeinigen Hund vergleichbar, und schritt, fürsichtig um sich lugend, in den Hof; stand still, warf den Kopf empor und schritt dann wieder weiter. Schon wollte es zum Sprunge ansetzen, jedoch im selben Augenblicke klappte hinter ihm das Thor; ein lothrechter Riegel fiel mit Gewalt herunter, und das Zicklein war in das Haus hineingezogen.

Der Alte nickte, indem er einen Fensterflügel aufstieß: »Siehst du ihn?« frug er und wies nach einer Ecke des Hofes; aber wir sahen ihn nicht, denn es lag dort tiefer Schatten; nur zwei glimmende Punkte drangen von dorther durch das Dunkel.

Der Wildmeister legte die Büchse in des Knaben Hände. »Das ziemet dir«, sprach er; »es ist der letzte Wolf in deinen Wäldern.« Der Junker legte das Schießwerkzeug an seine Wange; aber da das schlagende Herz des Knaben dessen Arme zittern machte, hielt ihn der Alte mit der Hand zurück: »Halt, Rolf; ein so gestellet Thier darf nicht gefehlet werden!«

Da wandte ich mich um; ich wollte Weiteres nicht sehen.

»Nun schieß!«

Der Alte hatte es gesprochen; und es gab einen Krach, und durch die Dielen kam ein tobendes Geheul herauf. Noch hörte ich, wie der Wildmeister mit dem Knaben nach dem Hofe hinabging; dann, wie sie draußen mit Hans Christoph das erschossene Thier aus seinem Winkel zogen.

– – »Ihr möget kein Blut sehen, Herr Magister!« sprach der Alte zu mir, da sie beide wieder in das Zimmer traten.

»Ihr saget es«, entgegnete ich; »ich dachte an die Jungen des erschossenen Mutterthieres.«

»Das ist nun so«, sprach er und stand in sich versinkend vor mir; »'s ist doch kein schwanger Weib, aus dessen Schoß sich noch ein unreif Kind losreißen muß. Aber die jungen Wölfe sollen nicht verkümmern; ich und Hans Christoph«, sprach er wieder lauter,

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