Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 233)

1707 den Junker nach Stockholm gesandt, woselbst er als Page und Leibdiener unserer Herzogin eingestellet wurde; nach deren im darauffolgenden Jahre bereits erfolgtem traurigen Absterben trat er als Fahnenjunker in die schwedische Miliz und hatte nunmehr geschrieben, daß er als Lieutnant bei den Dragonern war installiert worden.

Auf Grieshuus saß nun der Oberst mit dem Vetter und der Tante Adelheid in großer Stille; auch machte die Wunde ihm gar oft zu schaffen. Jeden Montagabend brachte ich dorten zu; dann sprachen wir von unserem stolzen Knaben. War ein Brief gekommen, so mußte ich ihn vorlesen; Tante Adelheid hielt dann ihre Spindel müßig auf dem Schoße, und der Vetter rief dazwischen: »Nun, Ehrwürden, was saget Ihr zu unserem discipulus?« Dann nickte der Oberst lächelnd von seinem Kanapee, worauf er mit seinem kranken Beine lag. Um zehn Uhr ging ich wieder hinab nach meinem noch weit stilleren Hause in dem Dorfe; denn ich war noch unbeweibet. Die Abel war noch immer bei denselben Leuten in der Stadt, die ihrer nicht entrathen mochten; sie hatten einen Kramladen, und das Mädchen war zu einer braven und anstelligen Jungfer aufgewachsen; in den Laden kam wohl mancher ihretwegen, der anders nicht gekommen wäre. Ich aber dachte schon lange, sie mir zum Weibe zu gewinnen.

Von Wölfen wurde seit des Wildmeisters Abgang ferner nichts gespüret, und es konnte auch ein Kind itzt ruhig durch die Wälder gehen; aber über der Thorfahrt und im Thurmhaus wohnte niemand mehr, und von hüben und von drüben leuchtete kein Licht mehr nach der Heide. Auch von dem Nachtspuk dorten hörte ich nichts wieder.

So war es im Januarius des gedachten Jahres. Der gewaltige Kriegsfürst Carolus XII. war seit der schweren Niederlage bei Pultawa fern in der Türkei geblieben; da erhuben sich alle seine Feinde, zuerst die Russen und Sachsen und der Dänenkönig Friedrich IV., der sich in dessen deutschen Herzogthümern Bremen und Verden in seinem Übermuthe von den Unterthanen hatte huldigen lassen; aber der schwedische Feldmarschall Steenbock schlug ihn bei Gadebusch und ging bei Lübeck über die Grenze in unser armes Land. So hatten wir wieder einmal alle Molesten des Krieges und waren doch im Frieden mit Dänen wie mit Schweden. Der Steenbock zog plündernd und brandschatzend bis in unsere Gegend, und mußten die drunten in der Stadt zum Willkommen allsogleich fünfhundert Tonnen Vierthalerbieres und fünfhundert Tonnen Brotkorn zu dessen Armee liefern.

Grieshuus war wohl bisher noch nicht berühret worden, aber wir waren hier in anderen Sorgen; denn unser Junker Rolf zog mit in der Armee des schwedischen Feldmarschalls. Einmal, von Pommern aus, war an den Vater ein Brief von ihm gelanget: »Mon cher Papa, ich denk, wir kommen auch noch nach Grieshuus; da lasse ich mich bei Ihnen ins Quartier legen, um alles Mißgefüge zu verhüten. Und meine Falada möcht ich wieder reiten, denn unsere Pferde taugen nicht. Lasset das adelige Thier bis dahin fleißig rühren!« Aber der Herr Oberst hatte ihm darauf erwidert: »Suche Dich los zu machen, Rolf; denn der König strecket auch über Grieshuus anitzo seinen Scepter, und er würd' es Dir

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