Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 102)
nur desto größer, bis es sich endlich gar in des Obristen Tischbecher verwandelte.
Da mußte nun nicht allein der Obriste, sondern auch alle andere Gegenwärtige davorhalten, daß sonst niemand als der junge Herzbruder den Becher gestohlen, derowegen sagte der Obriste zu ihm: »Siehe du, du undankbarer Gast, hab ich dieses Diebsstück, das ich dir nimmermehr zugetraut hätte, mit meinen Guttaten um dich verdienet? Schaue, ich habe dich zu meinem Secretario des morgenden Tags wollen machen, aber nun hast du verdienet, daß ich dich noch heut aufhenken ließe! welches auch ohnfehlbar geschehen sollte, wenn ich deines ehrlichen alten Vatters nicht verschonete; geschwind packe dich aus meinem Läger, und lasse dich die Tag deines Lebens vor meinen Augen nicht mehr sehen!« Er wollte sich entschuldigen, wurde aber nicht gehört, dieweil seine Tat so sonnenklar am Tag lag; und indem er fortgieng, wurde dem guten alten Herzbruder ganz ohnmächtig, also daß man genug an ihm zu laben, und der Obrist selbst an ihm zu trösten hatte, welcher sagte: Daß ein frommer Vatter seines ungeratenen Kinds gar nicht zu entgelten hätte. Also erlangte Olivier durch Hülf des Teufels dasjenige, wornach er vorlängst gerungen, auf einem ehrlichen Weg aber nicht ereilen mögen.
Das 23. Kapitel
Ulrich Herzbruder verkauft sich um 100 Dukaten.
Sobald des jungen Herzbruders Kapitän diese Geschicht erfuhr, nahm er ihm auch die Musterschreiberstell und lud ihm eine Pike auf, von welcher Zeit an er bei männiglich so veracht wurde, daß ihn die Hund hätten anpissen mögen, darum er ihme dann oft den Tod wünschete! Sein Vatter aber bekümmerte sich dergestalt darüber, daß er in ein schwere Krankheit fiel und sich auf das Sterben gefaßt machte. Und demnach er ihme ohnedas hiebevor selbst prognostiziert hatte, daß er den 26. Julii Leib- und Lebensgefahr ausstehen müßte (welcher Tag dann nächst vor der Tür war): Als erlangte er bei dem Obristen, daß sein Sohn noch einmal zu ihm kommen dorfte, damit er wegen seiner Verlassenschaft mit ihm reden und seinen letzten Willen eröffnen möchte. Ich wurde bei ihrer Zusammenkunft nicht ausgeschlossen, sondern war der dritte Mitgesell ihres Leids; da sahe ich, daß der Sohn keiner Entschuldigung bedürft gegen seinem Vatter, weil er seine Art und gute Auferziehung wohl wußte, und dahero seiner Unschuld genugsam versichert war: Er als ein weiser, verständiger und tiefsinniger Mann ermaß ohnschwer aus den Umständen, daß Olivier seinem Sohn dies Bad durch den Profosen hatte zurichten lassen; was vermochte er aber wider einen Zauberer? von dem er noch Ärgers zu besorgen hatte, wann er sich anders einiger Rach hätte unterfangen wollen; überdies versahe er sich seines Tods, und wußte doch nicht geruhiglich zu sterben, weil er seinen Sohn in solcher Schand hinder sich lassen sollte: In welchem Stand der Sohn desto weniger zu leben getraute, um wieviel mehr er ohnedas wünschte, vor dem Vatter zu sterben. Es war versichert dieser beider Jammer so erbärmlich anzuschauen, daß ich von Herzen weinen mußte! Zuletzt war ihr gemeiner einhelliger Schluß, Gott ihre Sach in Gedult heimzustellen, und der Sohn sollte auf Mittel und Weg gedenken,