Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 105)
diese Arbeit viel Rechnens braucht, wirds mein blöder Kopf jetzo nicht verrichten können; wann Er sich aber bis morgen zu gedulden beliebt, will ich Ihm verhoffentlich genugsame Satisfaktion tun.« »Herr«, sagte hierauf der Leutenant, »Er sage mir nur etwas dieweil aus der Hand.« »Mein Herr«, antwortet der alte Herzbruder, «dieselbe Kunst ist gar mißlich und betrüglich, derowegen bitte ich, der Herr wolle mich damit so weit verschonen, ich will morgen hergegen alles gerne tun, was der Herr an mich begehrt.« Der Leutenant wollte sich doch nicht abweisen lassen, sondern tratte meinem Vatter vors Bett, streckt ihm die Hand dar, und sagte: »Herr, ich bitt nur um ein paar Wort, meines Lebens End betreffend, mit Versicherung, wann solches etwas Böses sein sollte, daß ich des Herrn Red als ein Warnung von Gott annehmen will, um mich desto besser vorzusehen; darum bitte ich um Gottes willen, der Herr wolle mir die Wahrheit nicht verschweigen!« Der redliche Alte antwortet ihm hierauf kurz, und sagte: »Nun wohlan, so sehe sich der Herr dann wohl vor, damit er nicht in dieser Stund noch aufgehenkt werde.« »Was, du alter Schelm«, sagte der Leutenant, der eben ein rechten Hundssoff hatte, »sollest du einem Cavallier solche Wort vorhalten dürfen?« zog damit von Leder, und stach meinen lieben alten Herzbruder im Bett zu Tod! Ich und der Furierschütz ruften alsbald Lärmen und Mordio, also daß alles dem Gewehr zulieffe; der Leutenant aber machte sich unverweilt auf seinen Schnellfuß, wäre auch ohne Zweifel entritten, wann nicht eben der Churfürst in Sachsen mit vielen Pferden persönlich vorbeigeritten wäre, und ihn hätte einholen lassen: Als derselbe den Handel vernahm, wendet er sich zu dem von Hatzfeld, als unserm General, und sagte nichts anders als dieses: »Das wäre ein schlechte Disziplin in einem Kaiserlichen Läger, wann auch ein Kranker im Bett vor den Mördern seines Lebens nicht sicher sein sollte!« Das war ein scharfer Sentenz, und genugsam, den Leutenant um das Leben zu bringen; gestalt ihn unser General alsbald an seinen allerbesten Hals aufhenken ließe.
Das 25. Kapitel
Simplicius wird aus einem Jüngling in ein Jungfrau verwandelt und bekommt unterschiedliche Buhlschaften.
Aus dieser wahrhaftigen Histori ist zu sehen, daß nicht sogleich alle Wahrsagungen zu verwerfen seien, wie etliche Gecken tun, die gar nichts glauben können. So kann man auch hieraus abnehmen, daß der Mensch sein aufgesetztes Ziel schwerlich überschreiten mag, wann ihm gleich sein Unglück lang oder kurz zuvor durch dergleichen Weissagungen angedeutet worden. Auf die Frag, die sich ereignen möchte, obs einem Menschen nötig, nützlich und gut seie, daß er sich wahrsagen, und die Nativität stellen lasse? antworte ich allein dieses, daß mir der alte Herzbruder so viel gesagt habe, daß ich oft gewünschet, und noch wünsche, daß er geschwiegen hätte; dann die unglückliche Fäll, die er mir angezeigt, hab ich niemals umgehen können, und diejenige die mir noch bevorstehen, machen mir nur vergeblich graue Haar, weil mir besorglich dieselbige auch, wie die vorige, zuhanden gehen werden, ich sehe mich gleich für denselben vor oder nicht: Was aber die Glücksfälle anbelangt, von denen