Ungekürztes Werk "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (Seite 14)
darum geschahe, weil er ein so groß Mitleiden mit meiner Einfalt und Unwissenheit hatte, oder aus der Ursach, die ich erst über etliche Jahr hernach erfuhr.
Das 9. Kapitel
Simplicius wird aus einer Bestia zu einem Christenmenschen.
Ich fieng an zu essen und hörete auf zu papplen, welches nicht länger währete, als bis ich nach Notdurft gefüttert hatte, und mich der Alte fortgehen hieße: Da suchte ich die allerzarteste Wort herfür, die mir mein bäurische Grobheit immermehr eingeben konnte, welche alle dahin giengen, den Einsiedel zu bewegen, daß er mich bei ihm behielte: Ob es ihm nun zwar beschwerlich gefallen, meine verdrüßliche Gegenwart zu gedulden, so hat er jedoch beschlossen, mich bei ihm zu leiden, mehr, daß er mich in der christlichen Religion unterrichtete, als sich in seinem vorhandenen Alter meiner Dienste zu bedienen, sein größte Sorg war, mein zarte Jugend dürfte ein solche harte Art zu leben in die Länge nit ausharren mögen.
Eine Zeit von ungefähr drei Wochen war mein Probierjahr, in welcher eben S. Gertraud mit den Gärtnern zu Feld lag, also daß ich mich auch in deren Profession gebrauchen ließe; ich hielte mich so wohl, daß der Einsiedel ein sonderliches Gefallen an mir hatte, nicht zwar der Arbeit halber, so ich zuvor zu vollbringen gewohnet war, sondern weil er sahe, daß ich ebenso begierig seine Unterweisungen hörete, als geschickt die wachsweiche, und zwar noch glatte Tafel meines Herzens solche zu fassen sich erzeigte. Solcher Ursachen halber wurde er auch desto eiferiger, mich in allem Guten anzuführen; er machte den Anfang seiner Unterrichtungen vom Fall Luzifers, von dannen kam er in das Paradeis, und als wir mit unsern Eltern daraus verstoßen wurden, passierte er durch das Gesetz Mosis und lernete mich vermittelst der zehen Gebot Gottes und ihrer Auslegungen (von denen er sagte, daß sie eine wahre Richtschnur seien, den Willen Gottes zu erkennen und nach denselben ein heiliges, Gott wohlgefälliges Leben anzustellen), die Tugenden von den Lastern zu unterscheiden, das Gute zu tun, und das Böse zu lassen: Endlich kam er auf das Evangelium und sagte mir von Christi Geburt, Leiden, Sterben und Auferstehung; zuletzt beschlosse ers mit dem Jüngsten Tag, und stellet mir Himmel und Höll vor Augen, und solches alles mit gebührenden Umständen, doch nit mit gar zu überflüssiger Weitläuftigkeit, sondern wie ihn dünkte, daß ichs am allerbesten fassen und verstehen möchte; wann er mit einer materia fertig war, hub er ein andere an, und wußte sich bisweilen in aller Gedult nach meinen Fragen so artlich zu regulieren, und mit mir zu verfahren, daß er mirs auch nicht besser hätte eingießen können; sein Leben und seine Reden waren mir eine immerwährende Predigt, welche mein Verstand, der eben nicht so gar dumm und hölzern war, vermittels göttlicher Gnad nicht ohne Frucht abgehen ließe, allermaßen ich alles dasjenige, was ein Christ wissen soll, nicht allein in gedachten dreien Wochen gefaßt, sondern auch ein solche Lieb zu dessen Unterricht gewonnen, daß ich des Nachts nicht davor schlafen konnte.
Ich habe seithero der Sach vielmal nachgedacht, und befunden, daß Aristot.